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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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du Nil   – entrez, Monsieur   –«
    Hastig ließ Dick die Zeltklappe fallen und rannte zum |291| See hinunter, wo der Rummelplatz aufhörte und sich vor dem Himmel ein kleines Riesenrad drehte. Dort fand er sie.
    Sie saß allein in der im Augenblick am höchsten stehenden Gondel, und als sie langsam herabkam, sah er, dass sie begeistert lachte; er schob sich rückwärts in die Menge zurück, der, als die Gondel sich wieder hob, Nicoles Hysterie nicht entging.
    »Regardez-moi ça!«
    »Regarde donc cette Anglaise!«
    Wieder kam sie herunter   – diesmal stoppte das Riesenrad und die Musik wurde langsamer. Ein Dutzend Leute versammelten sich um ihre Gondel und lächelten unter dem Eindruck ihres Gelächters in mitfühlender Idiotie. Aber als sie Richard sah, erstarb Nicoles Lachen   – sie versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen, aber er fasste sie am Arm und sie gingen gemeinsam weg.
    »Warum hast du so die Kontrolle über dich verloren?«
    »Das weißt du sehr gut.«
    »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Das ist doch absurd   – lass mich los   – das ist eine Beleidigung für meine Intelligenz. Denkst du ich hätte nicht bemerkt, wie dieses dunkelhaarige kleine Mädchen dich angeschaut hat? Ach, das ist wirklich zu lächerlich   – ein Kind, kaum älter als fünfzehn. Denkst du, ich hätte das nicht gesehen?«
    »Jetzt hör mal eine Minute auf und beruhige dich.«
    Sie setzten sich an einen Tisch. Nicoles Blicke waren noch immer ein Abgrund von Misstrauen, und ihre Hand bewegte sich vor ihren Augen, als ob ihr die Sicht versperrt wäre. »Ich brauch einen Cognac.«
    »Cognac darfst du nicht trinken. Wenn du willst, kannst du ein Bier haben.«
    |292| »Und warum krieg ich keinen Cognac?«
    »Darüber möchte ich nicht diskutieren. Hör zu, diese Geschichte mit einem Mädchen ist eine Wahnvorstellung, verstehst du, was das Wort bedeutet?«
    »Es ist immer eine Wahnvorstellung, wenn ich Dinge sehe, von denen du nicht willst, dass ich sie sehe.«
    Er hatte jene Art Schuldgefühle, die wir in Albträumen erleben, wenn wir eines Verbrechens bezichtigt werden, von dem wir erst beim Erwachen eindeutig wissen, dass wir es nicht begangen haben. Seine Blicke wichen ihr aus.
    »Ich habe die Kinder bei einer Zigeunerin an einer Bude gelassen. Wir müssen sie holen.«
    »Was denkst du denn, wer du bist?«, fragte sie. »Der neue Svengali?«
    Vor fünfzehn Minuten waren sie noch eine Familie gewesen. Jetzt, wo er sie ohne es zu wollen in die Enge getrieben hatte, sah er sie alle, Erwachsene wie Kinder, als prekären, zusammengewürfelten Unfall.
    »Wir fahren nach Hause.«
    »Nach Hause!«, schrie sie so verlassen, dass die lauteren Töne bebten und brachen. »Und da herumsitzen und denken, dass wir alle verwesen und die Asche der Kinder in jeder Schachtel, die ich öffne, verrottet? Dieser Dreck!«
    Fast mit Erleichterung sah er, dass die Worte sie ausglühten; und Nicole, die jetzt sensibilisiert war bis unter die Haut, sah in seinem Gesicht, wie er sich zurückzog. Ihre Züge wurden weich, und sie bettelte: »Hilf mir, Dick! Hilf mir!«
    Eine Welle der Qual spülte über ihn hinweg. Es war schrecklich, dass ein so schönes Geschöpf nicht von selbst stehen konnte, dass es nur von ihm abhing. Bis zu einem gewissen Punkt war das richtig, dafür waren Männer ja da: |293| Ideen und Tragbalken, Logarithmen und Stahlträger. Aber Dick und Nicole waren irgendwie eins geworden, sie lebten nicht gegeneinander oder komplementär, sondern als eine Person.
Sie
war auch Dick,
sie
war die Dürre in seinem Knochenmark. Er konnte ihren Zerfall nicht beobachten, ohne daran beteiligt zu sein. Diese Erkenntnis wurde zu zärtlichem Mitleid   – und deshalb blieb ihm jetzt nur noch der typisch moderne Ausweg, jemand anderen zwischenzuschalten: Er würde eine Krankenschwester aus Zürich kommen lassen, die sich heute Nacht um Nicole kümmern würde.
    »Du
kannst
mir helfen.« Ihre süße Erpressung zog ihn fast von den Füßen. »Du hast mir schon früher geholfen, jetzt kannst du mir auch helfen.«
    »Ich kann dir nur wieder mit derselben alten Methode helfen.«
    »Irgendjemand kann mir bestimmt helfen.«
    »Vielleicht. Am meisten kannst du dir selbst helfen. Lass uns die Kinder holen.«
    Es gab verschiedene Losbuden mit weißen Glücksrädern. Dick war sehr überrascht, als er an der ersten fragte und verblüffte Irritation erntete. Mit bösen Augen stand Nicole daneben, verleugnete die Kinder, lehnte sie ab als Teil einer allzu

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