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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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konkreten Welt, die sie nicht wahrhaben wollte. Kurz darauf hatte Richard sie wiedergefunden, umgeben von entzückten Frauen, die sie wie feine Waren betrachteten, und Bauernkindern, die sie misstrauisch anstarrten.
    »Merci, Monsieur, ah, Monsieur est trop généreux. C’était un plaisier, M’sieur, Madame. Au revoir, mes petits.«
    Auf der Rückfahrt drückte heißer Kummer sie nieder; der Wagen war schwer beladen mit ihren wechselseitigen |294| Ängsten und Ahnungen, und die Münder der Kinder waren ernst vor Enttäuschung. Die Niederlage zeigte sich in ihrer unbekannten, schrecklichen dunklen Farbe. Irgendwo in der Nähe von Zug wiederholte Nicole mit einer verkrampften Anstrengung eine Bemerkung über ein gelbliches Haus, das von der Straße etwas zurückgesetzt war und ihrer Ansicht nach wie ein Aquarell aussah, das noch nicht ganz trocken war. Aber das war nur ein vergeblicher Versuch, ein Seil zu fassen zu kriegen, das ihnen allen viel zu schnell entglitt.
    Dick versuchte, sich zu entspannen   – gleich zu Hause würde der Kampf beginnen, und er würde womöglich lange aufbleiben müssen, um das Universum neu für sie zu errichten. Schizophrenie wird zu Recht als »Persönlichkeitsspaltung« bezeichnet   – Nicole war abwechselnd ein Mensch, dem man nichts zu erklären brauchte, und dann wieder eine Person, der man nichts erklären
konnte
. Es war nötig, sie ständig mit aktiver und affirmativer Hartnäckigkeit zu behandeln, den Weg zur Realität immer offen zu halten und die Fluchtwege möglichst zu sperren. Aber der Scharfsinn und die Anpassungsfähigkeit des Wahnsinns sind mit der Beweglichkeit des Wassers vergleichbar, das durch einen Deich sickert oder darüber hinweg spült oder darum herum fließt. Es bedarf einer einheitlichen Front vieler Menschen, um das zu verhindern. Er fand es unumgänglich, dass Nicole sich diesmal selber heilte; er wollte warten, bis sie sich an die früheren Fälle erinnerte und sich dafür schämte. Müde plante er, dass sie das strenge Regime wieder aufnehmen sollten, das sie ein Jahr zuvor gelockert hatten.
    Er hatte eine Abkürzung über den Berg zur Klinik gewählt, und als er aufs Gas trat, um die kurze gerade Strecke |295| auf halber Höhe des Abhangs zurückzulegen, schleuderte der Wagen plötzlich nach links, dann nach rechts, fuhr ein Stück auf zwei Rädern und während ihm Nicoles Stimme wie rasend ins Ohr schrie, schlug Richard die verrückte Hand weg, die ihm ins Lenkrad gegriffen hatte. Der Renault fiel zurück und schleuderte weiter, schoss von der Straße, fetzte durchs Unterholz, kippte erneut zur Seite und kam schließlich im Winkel von neunzig Grad am Stamm eines Baumes zum Stillstand.
    Die Kinder kreischten, Nicole schrie und fluchte und versuchte, Dick das Gesicht zu zerfleischen. Er bog ihren Arm weg, aber seine Sorge galt vor allem dem schräg in der Luft hängenden Auto, dessen Lage er nicht wirklich einschätzen konnte. Er kletterte über die Seite hinaus und hob dann die Kinder heraus; als er sah, dass der Wagen in einer stabilen Lage war, blieb er zitternd stehen und keuchte, ohne sonst irgendetwas zu tun.
    »Du   –!«, schrie er.
    Sie lachte sorglos, schamlos, ohne Angst   – ungerührt. Niemand, der jetzt hinzugekommen wäre, hätte vermutet, dass sie den Unfall verursacht hatte; sie lachte, als wäre sie einem harmlosen Kindheitsschrecken entkommen.
    »Du hast Angst gehabt, nicht wahr?«, höhnte sie. »Du wolltest wohl überleben?«
    Sie sprach mit solcher Kraft, dass sich Dick in seinem Schockzustand fragte, ob er tatsächlich um sich selbst Angst gehabt hatte   – aber die angespannten Gesichter der Kinder, die hilflos von der Mutter zum Vater und wieder zurück schauten, machten ihn so wütend, dass er ihre grinsende Maske kaputt schlagen wollte.
    Unmittelbar über ihnen, einen halben Kilometer auf der gewundenen Straße, aber nur hundert Meter zu Fuß entfernt, |296| befand sich ein Gasthaus; einen Teil davon sah man schon durch die Bäume schimmern.
    »Nimm Topsys Hand«, sagte er zu Lanier. »So, ganz fest! Und dann klettert den Abhang rauf   – siehst du den kleinen Weg? Wenn du zum Gasthof kommst, sag ihnen:
La voiture Diver est cassée.
Es soll sofort jemand herunterkommen.«
    Lanier wusste nicht genau, was passiert war, ahnte aber das Noch-nie-Dagewesene und Dunkle.
    »Was werdet ihr denn machen, Dad?«, fragte er.
    »Wir werden hier beim Wagen bleiben.«
    Sie schauten ihre Mutter nicht an, als sie losgingen. »Seid

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