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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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auf seinen Wanderungen zwischen den Wäldern der Anthropologie und den Neurosen von Schuljungen zwischen ihnen aufragen, höflich und superenergisch. Am Anfang würde der Kongress im Zeichen der Amerikaner und ihrer fast rotarierhaften Rituale stehen, dann würden sich die vitalen europäischen Seilschaften durchkämpfen, aber am Ende würden die Amerikaner ihre Trumpfkarte spielen und kolossale Geschenke, Stipendien, neue Institutionen und Ausbildungsstätten ankündigen, und vor diesen Zahlen würden die Europäer erbleichen und ängstlich davonschleichen. Er, Richard Diver allerdings würde nicht da sein, um das alles zu sehen.
    Sie umrundeten die Vorarlberger Alpen, und Dick freute sich am idyllischen Anblick der Dörfer. Es waren immer vier oder fünf gleichzeitig in Sicht, jedes um seine Kirche geschart. Es war einfach, die Erde so aus der Entfernung zu sehen, so ähnlich als ob man mit Soldaten und Puppen grausame Dinge spielte. Aus solcher Perspektive sahen wohl Feldherren, Staatsmänner, aber auch alle Rentner und Pensionäre die Welt. Auf jeden Fall trug es zu seiner Befreiung bei.
    Ein Engländer sprach ihn über den Gang hinweg an, aber neuerdings fand er die Engländer irgendwie unsympathisch. England war wie ein reicher Mann, der sich nach einer desaströsen Orgie bei den einzelnen Mitgliedern des Haushalts mit persönlichen Gesprächen einschmeicheln will, obwohl jeder weiß, dass er nur an seiner Selbstachtung arbeitet, um die alte Macht wieder an sich zu reißen.
    |300| Richard hatte alles an Lektüre bei sich, was er am Flughafen hatte kaufen können: ›The Century‹, ›The Motion Picture‹, ›L’Illustration‹ und die ›Fliegenden Blätter‹, aber es war weitaus amüsanter, in der Fantasie in die Dörfer hinunterzusteigen und den Bauern die Hand zu schütteln. Er saß in den Kirchen, so wie er in der Kirche seines Vaters in Buffalo im Dunst der frisch gestärkten Sonntagskleider gesessen hatte. Er lauschte der Weisheit des Nahen Ostens, wurde gekreuzigt, starb, wurde in der fröhlichen Kirche beerdigt und hatte wegen des Mädchens in der Kirchenbank hinter ihm wieder einmal die größten Schwierigkeiten, sich zwischen fünf oder zehn Cent für den Kollekte-Teller zu entscheiden.
    Der Engländer lieh sich seine Zeitschriften aus und bezahlte dafür mit ein bisschen Konversation. Richard war froh, dass er die Zeitschriften los war und versuchte, sich die Reise vorzustellen, die ihm bevorstand. Wie ein Wolf im Schafspelz saß er in seinem Anzug aus feiner australischer Wolle und dachte über die Welt der Lust nach   – die unzerstörbare mediterrane Welt, wo die Olivenbäume mit süßer alter Erde verkrustet waren, das Bauernmädchen aus der Nähe von Savona mit einem Gesicht, das so frisch und rosig war wie ein illuminiertes Messbuch. Er würde sie an der Hand nehmen und über die Grenze schmuggeln   …
    … aber da würde er sie wieder verlassen   – denn er musste weiter zu den griechischen Inseln, den trüben Gewässern fremder Häfen: das verlorene Mädchen am Ufer, das Säuseln romantischer Schlager. Wie bei jedem Menschen bestand ein guter Teil von Richards Gemüt aus den kitschiggrellen Erinnerungen der Kindheit. Und doch hatte er in diesem Gemischtwarenladen das schwache, schmerzliche Feuer des Verstandes am Leben erhalten.

|301| 17
    Ein Herrscher war Tommy Barban, ein Held   – Dick begegnete ihm in München auf dem Marienplatz, in einem Café, wo berufsmäßige Spieler ihre Würfel auf Filzmatten klappern ließen. Die Atmosphäre war von Politik und dem Klatschen der Karten erfüllt.
    Tommy saß an einem der Tische und ließ sein martialisches Lachen ertönen: »Ho, ho, ho.« Er trank aus Prinzip wenig; sein Trumpf war der Mut, und seine Gefährten hatten immer ein wenig Angst vor ihm. Erst vor Kurzem hatte ihm ein Chirurg in Warschau ein Achtel der Schädeldecke entfernt, die sich erst langsam wieder unter dem Haar schloss. Die schwächste Person im Café hätte ihn mit einem Knoten in einer Serviette totschlagen können.
    »–   das ist Fürst Chillicheff   –« Ein ramponierter, pulvergrauer Russe von fünfzig. »Mr McKibben und Mr Hannan.«
    Letzterer war ein lebhafter schwarzer Gummiball aus schwarzen Haaren und Augen, ein Witzbold, der sofort loslegte. »Also, ehe wir uns die Hand geben«, sagte er zu Dick, »müssen Sie mir erklären, was Sie mit meiner Tante vorhaben?«
    »Aber, ich   –«
    »Sie haben sehr gut verstanden. Was machen Sie überhaupt hier in

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