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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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München?«
    »Ho, ho, ho«, lachte Tommy.
    »Haben Sie keine eigenen Tanten? Warum fummeln Sie nicht an denen herum?«
    Dick lachte, woraufhin der Mann seine Stoßrichtung |302| änderte: »Also gut, hören wir auf, über Tanten zu reden. Woher soll ich auch wissen, ob Sie das Ganze nicht erfunden haben? Ich kenne Sie erst seit einer halben Stunde, Sie sind ein völlig Fremder und erzählen mir eine bekloppte Geschichte über Ihre Tanten. Woher soll ich wissen, was Sie noch alles im Schilde führen?«
    Tommy lachte erneut, dann sagte er gut gelaunt, aber streng: »Es reicht, Carly. Setz dich, Dick   – wie geht’s dir? Wie geht es Nicole?«
    Tommy mochte keinen Mann sehr und ihre Gegenwart war ihm gleichgültig   – er war immer kampfbereit; so wie ein guter Fußballspieler, der zweiter Verteidiger spielt und die meiste Zeit ganz ruhig ist, während ein schlechterer Spieler nur so tut, als ob er ruhig wäre und sich innerlich mit nervöser Spannung zermürbt.
    Hannan ließ sich aber nicht völlig mundtot machen. Er ging zum Klavier, warf Dick weiterhin böse Blicke zu, spielte ein paar Akkorde und murmelte: »Sie und Ihre Tanten!« Und dann in fallender Kadenz: »Ich hab sowieso nicht Tanten gesagt, sondern Quanten.«
    »Und wie geht’s dir?«, wiederholte Tommy. »Du siehst nicht mehr so«   – er suchte nach einem Wort   – »so keck aus wie früher, so frisch, wenn du weißt, was ich meine.«
    Die Bemerkung klang nach einem dieser ärgerlichen Kommentare über schwindende Vitalität, und Dick wollte schon mit einer spöttischen Bemerkung über die ungewöhnlichen Anzüge kontern, die Tommy und Fürst Chillicheff trugen, Kleider, die so verrückt geschnitten waren, dass man sie am Sonntag auf der Beale Street 1* erwartet hätte, als auch schon eine Erklärung erfolgte.
    »Ich sehe, dass Sie unsere Kleider betrachten«, sagte der Fürst. »Wir sind gerade aus Russland gekommen.«
    |303| »Die Anzüge stammen vom besten Schneider in Polen«, sagte Tommy. »Pilsudskis eigener Schneider hat sie genäht   – das ist eine Tatsache.«
    »Seid ihr auf Reisen gewesen?«, fragte Dick.
    Sie lachten, der Fürst ganz besonders. Mit einer Hand schlug er Tommy dabei auf den Rücken.
    »Ja, wir waren auf Reisen. Wir waren auf Reisen, genau. Wir haben die große Russland-Tour gemacht. Standesgemäß.«
    Dick wartete auf eine Erklärung, die schließlich von Mr McKibben in drei Worten kam.
    »Geflüchtet sind sie.«
    »Wart ihr in Russland gefangen?«
    »Es ging um mich dabei«, erklärte Fürst Chillicheff, und seine toten gelben Augen starrten Dick an. »Ich war kein Gefangener, musste mich aber verstecken.«
    »Hatten Sie große Schwierigkeiten herauszukommen?«
    »Ein bisschen. Wir haben an der Grenze drei tote Rotgardisten zurückgelassen. Tommy zwei«   – er hielt wie ein Franzose zwei Finger hoch   – »und ich einen.«
    »Das ist das, was ich nicht verstehe«, sagte Mr McKibben. »Warum hätten die etwas dagegen haben sollen, dass ihr das Land verlasst?«
    Hannan drehte sich vom Klavier weg und zwinkerte den anderen zu: »Mac denkt, ein Marxist wäre jemand, der in St Mark’s zur Schule gegangen ist.«
    Es war eine Fluchthelfergeschichte im klassischen Stil   – ein Aristokrat, der sich neun Jahre lang bei einem früheren Diener versteckt und in einer Bäckerei gearbeitet hatte; die achtzehnjährige Tochter in Paris, die Tommy Barban gekannt hatte   … Im Verlauf der Erzählung kam Dick zu dem Schluss, dass dieser vertrocknete Pappmaschee-Überrest |304| der Vergangenheit wohl kaum das Leben von drei jungen Männern wert gewesen sein konnte. Dann tauchte die Frage auf, ob Tommy und Chillicheff Angst gehabt hätten.
    »Als ich gefroren habe«, sagte Tommy. »Ich kriege immer Angst, wenn mir kalt ist. Im Krieg habe ich immer Angst gehabt, wenn mir kalt war.«
    McKibben stand auf. »Ich muss gehen. Morgen früh fahre ich mit meiner Frau, den Kindern und der Gouvernante nach Innsbruck.«
    »Da will ich auch hin«, sagte Dick.
    »Ach, wirklich? Warum kommen Sie nicht mit uns? Wir haben einen großen Packard, und es sind nur meine Frau, die Kinder und ich   – und die Gouvernante   –«
    »Das kann ich Ihnen nicht zumuten   –«
    »Sie ist natürlich gar keine richtige Gouvernante«, schloss McKibben und schaute Dick etwas belämmert an. »Übrigens kennt meine Frau Ihre Schwägerin, Baby Warren.«
    Aber Dick wollte sich auf nichts einlassen. »Ich habe zwei Bekannten versprochen, im Zug mit ihnen zu

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