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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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die Einladungen grundsätzlich ablehnten. Die zweitklassigen Typen, die jetzt die Côte d’Azur beherrschten, hatten das als eine vage Unbeliebtheit verstanden. Trotzdem war Nicole der Ansicht, dass man eine solche Reputation nicht leichtfertig aufgeben dürfe, bloß weil man sich gerade mal gehen ließ.
    Als sie durch den Hauptsalon kamen, sahen sie im Zwielicht tanzende Gestalten im runden Heck. Aber das war nur eine Sinnestäuschung, die vom Zauber der Musik, der ungewohnten Beleuchtung und den umgebenden Wellen ausgelöst wurde. Abgesehen von den fleißigen Stewards hingen die meisten Gäste auf dem breiten Polstersofa herum, das der Krümmung des Hecks folgte. Da waren ein weißes, ein rotes und ein bunt verwischtes Kleid und mehrere steife Hemden der Herren. Einer von ihnen stand auf, gab sich zu erkennen und löste einen köstlichen kleinen Entzückensschrei bei Nicole aus.
    »Tommy!«
    Seinen förmlichen gallischen Handkuss-Versuch wischte sie einfach beiseite und presste ihr Gesicht an seine Wange. Sie setzten, beziehungsweise legten sich gemeinsam auf die spätrömische Polsterbank. Tommys hübsches junges Gesicht war mittlerweile so schwarz, dass es die angenehme |408| Sonnenbräune verloren hatte, ohne die bläuliche Schönheit der Afrikaner erreichen zu können. Seine Haut war nur noch vertrocknetes Leder. Aber die Fremdartigkeit seines von unbekannten Sonnen gefärbten Pigments, die fremden Böden, die ihn ernährt hatten, seine ungelenke Zunge, die sich um viele Sprachen gekrümmt hatte und seine ständige geheimnisvolle Alarmbereitschaft   – all diese Dinge faszinierten Nicole und machten sie ruhig. Seit dem Augenblick der Begegnung lag sie innerlich an seinem Busen und verströmte sich hemmungslos   …
    Dann gewann ihr Selbsterhaltungstrieb wieder die Oberhand, sie kehrte in ihre eigene Welt zurück und schlug einen leichten Ton an. »Du siehst genauso aus wie die Abenteurer im Kino   – aber warum musstest du so lange fortbleiben?«
    Tommy Barban sah sie verständnislos, aber wachsam an; seine Pupillen blitzten.
    »Vier Jahre«, fuhr sie mit kehliger Stimme fort, die gar kein Mimikri war. »
Viel
zu lange. Konntest du nicht einfach nur eine bestimmte Anzahl menschlicher Wesen umbringen und dann erst mal wieder zurückkommen, um unsere Luft hier zu atmen?«
    In ihrer geliebten Gegenwart verwandelte Tommy sich rasch wieder in einen Europäer zurück.
»Mais pour nous autres héros«
, sagte er,
»il nous faut du temps, Nicole. Nous ne pouvons pas faire de petits exercices d’héroisme   – il faut faire les grandes compositions.«
    »Sprich Englisch mit mir, Tommy.«
    »Parlez français avec moi, Nicole.«
    »Aber die Bedeutung der Worte ist anders   – du weißt doch: Auf Französisch kann man mit Anstand heroisch und tapfer sein. Während man im Englischen nicht heroisch |409| und tapfer sein kann, ohne dass man gleichzeitig ein bisschen lächerlich ist. Dann hätte ich wenigstens eine Chance.«
    »Aber letzten Endes   –« Er lachte. »Letzten Endes bin auch auf Englisch tapfer, heroisch und all das.«
    Sie tat so, als wäre sie vor Staunen fast ohnmächtig.
    Tommy ließ sich aber nicht einschüchtern. »Ich weiß nur, was ich im Kino sehe.«
    »Ist es wirklich so wie im Kino?«
    »Die Filme sind gar nicht so schlecht. Dieser Ronald Colman zum Beispiel   – hast du seine Filme über die Fremdenlegion gesehen? Die sind gar nicht übel.«
    »Sehr gut, wenn ich das nächste Mal ins Kino gehe, weiß ich jetzt, dass du gerade dasselbe durchmachst, was ich da sehe.«
    Während sie das sagte, war Nicole eine kleine, blasse Frau mit wunderbar messingfarbenem Haar aufgefallen, das im Licht der Deckslampen beinahe grün aussah. Diese hübsche junge Person hatte auf Tommys anderer Seite gesessen und hatte mal ihm zugehört und mal den anderen Gästen. Sie hatte offenbar gewisse Ansprüche auf Tommy, denn als sie jetzt aufstand und das Halbrund des Hecks überquerte, weil sie keine Hoffnung mehr hatte, seine Aufmerksamkeit wieder zurückzugewinnen, zeigte sie das, was man früher schlechtes Benehmen genannt hätte, und zog einen Flunsch.
    »Also im Prinzip bin ich wirklich ein Held«, sagte Tommy gelassen, und das war eigentlich gar nicht scherzhaft gemeint. »Ich habe einen grausamen Mut, jedenfalls meistens   – ein bisschen wie ein Löwe und ein bisschen wie ein Betrunkener.«
    Nicole wartete, bis das Echo seiner Prahlerei in seinem |410| Schädel verhallt war   – sie wusste, dass er

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