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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Nicoles Fenster hinaufrief.
    Die Divers fuhren zum Abendessen nach Nizza und ließen sich eine Flasche kalten Chablis und eine Bouillabaisse bringen, das ist eine mit Safran gewürzte Suppe aus Garnelen und Felsenfischen. Dick drückte ein gewisses Mitleid für Augustine aus.
    »Mir tut es kein bisschen leid«, sagte Nicole.
    »Mir schon   – aber trotzdem hätte ich sie gern über die Klippen hinuntergestoßen.«
    In letzter Zeit gab es wenig, worüber sie noch zu reden wagten; selten fanden sie das rechte Wort, wenn es zählte; es schien immer erst ein wenig zu spät einzutreffen, wenn man den anderen schon nicht mehr erreichen konnte. Heute hatte Augustines Ausbruch sie aus ihren getrennten Träumereien gerissen; und die heiße, scharf gewürzte |405| Fischsuppe und der kühle, trockene Wein brachten sie wieder einmal zum Reden.
    »Wir können so nicht weitermachen«, sagte Nicole. »Oder doch   – was meinst du?« Verblüfft darüber, dass Dick nicht gleich widersprach, fuhr sie fort: »Manchmal denke ich, es ist mein Fehler   – ich habe dich ruiniert.«
    »Ich bin also ruiniert, ja?«, fragte er freundlich lächelnd.
    »So hab ich das nicht gemeint. Aber früher hast du Dinge hervorbringen wollen   – jetzt scheinst du sie lieber zerschlagen zu wollen.«
    Sie zitterte bei dem Gedanken, ihn auf diese pauschale Weise zu kritisieren   – aber sein alles vergrößerndes Schweigen machte ihr noch viel mehr Angst. Sie spürte, dass sich hinter diesem Schweigen, hinter den harten blauen Augen und dem fast unnatürlichen Interesse an den Kindern etwas zusammenbraute. Immer wieder überraschten sie nicht zu seinem Charakter passende Temperamentsausbrüche   – bei allen möglichen Gelegenheiten entrollte er plötzlich eine lange Liste von verächtlichen Kommentaren über eine bestimmte Person, Rasse, Lebensweise, Klasse und Denkweise. Es schien, als liefe in seinem Inneren eine unberechenbare Geschichte ab, deren Handlung sie nur erraten konnte, wenn sie in kurzen Augenblicken an die Oberfläche trat.
    »Ich meine, was hast du letztlich von alledem?«, fragte sie.
    »Wissen, dass du jeden Tag stärker wirst. Wissen, dass deine Krankheit dem Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate folgt.«
    Seine Stimme schien von weither zu kommen, so als spräche er von etwas sehr Abgelegenem und Akademischem; ihre Beunruhigung führte dazu, dass sie seinen Namen |406| rief und die Hand über den Tisch nach ihm ausstreckte. Ein Reflex ließ Dicks Hand zurückschnellen, und er fügte hinzu: »Man muss doch an die ganze Situation denken, nicht wahr? Es geht nicht nur um dich.« Er bedeckte ihre Hand mit seiner und sagte in der alten, verführerischen Verschwörerstimme, die Abenteuer, Spaß, Profit und Entzücken versprach: »Siehst du da draußen das Boot?«
    Es war die Motorjacht von T.   F.   Golding, die friedlich auf den kleinen Wellen der Bucht schaukelte und sich permanent auf einer romantischen Reise befand, auch ohne sich tatsächlich fortzubewegen. »Wir werden jetzt da rausfahren und die Leute an Bord fragen, wie’s ihnen geht. Wir werden ermitteln, ob sie glücklich sind.«
    »Wir kennen ihn doch kaum«, gab Nicole zu bedenken.
    »Er hat uns mehrfach eingeladen. Außerdem kennt ihn Baby   – sie hat ihn doch fast mal geheiratet, oder?«
    Während sie in einem gemieteten Motorboot aus dem Hafen aufbrachen, hatte sich die Dämmerung tief herabgesenkt, und in der Takelage der »Margin« begannen die ersten Lichter zu flackern. Als sie längsseits gingen, verstärkten sich Nicoles Zweifel.
    »Er gibt eine Party   –«
    »Das ist nur das Radio«, vermutete Dick.
    Aber da wurden sie auch schon begrüßt   – ein gewaltiger, weißhaariger Mann in einem weißen Anzug blickte auf sie herunter und rief: »Sind das nicht die Divers?«
    »Schiff ahoi, ›Margin‹!«
    Ihr Boot glitt unter das Fallreep, und als sie hinaufkletterten, beugte Golding sich weit herunter, um Nicole hinaufzuhelfen.
    »Gerade rechtzeitig zum Abendessen.«
    Ein kleines Orchester spielte im Heck.
    |407|
I’m yours for the asking,
    But till then you can’t ask me to behave   …
    Aber als Goldings Arme sie wie ein Wirbelsturm nach achtern trugen, ohne sie zu berühren, wurde Nicole noch ärgerlicher auf Dick und bedauerte noch mehr als zuvor, dass sie hierhergekommen waren. Als Dicks Arbeit und ihre Gesundheit noch nicht erlaubten, dass sie viel ausgingen, hatten sie eine gewisse Distanz zur Schickeria gehalten und galten als Leute,

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