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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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er mit der Nachtluft die Stimmung der beiden erfassen könnte. »Wir können ja Lady Bier-und-Ale fragen, was jetzt so angesagt ist   – die kennt sich da sicher aus. Und wir müssen ihr Lied auswendig lernen.
There was a young lady from l’enfer   …
Ich werde es übersetzen und ein Vermögen verdienen. Im Casino wird das ein Hit.«
    »Bist du eigentlich reich, Tommy?«, fragte Dick, als sie wieder nach hinten gingen.
    »Nicht so, wie manche anderen Leute«, erwiderte Tommy. »Die Börsenmakelei hat mich gelangweilt und deshalb hab ich sie aufgegeben, aber ich habe ein paar gute Aktien in den Händen von Freunden, die sie für mich aufbewahren. Läuft alles gut. 5* «
    »Dick wird immer reicher«, erklärte Nicole. Die emotionale Reaktion, die jetzt einsetzte, ließ ihre Stimme zittern.
    Auf dem Achterdeck hatte Golding drei Paare mit seinen |416| riesigen Tatzen zum Tanzen gezwungen. Nicole und Tommy schlossen sich an, und Tommy sagte: »Dick scheint eine Menge zu trinken.«
    »Nur in Maßen«, erwiderte sie loyal.
    »Es gibt Leute, die es vertragen, und andere die gar nichts vertragen. Dick verträgt offenbar gar nichts. Du solltest ihm klarmachen, dass er es lassen soll.«
    »Ich?«, rief sie voller Erstaunen. »
Ich
soll Dick sagen, was er tun soll!«
    Als sie den Hafen von Cannes 6* erreichten, war Dick immer noch wortkarg, schläfrig und vage. Golding half ihm ins Beiboot der »Margin« herunter, woraufhin Lady Caroline demonstrativ von ihm abrückte. Auf dem Kai machte er eine übertriebene Verbeugung vor ihr, und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er ihr noch einen gepfefferten Spruch hinterherschicken, aber Tommys Ellbogen bohrte sich in das weiche Fleisch seines Arms, und sie gingen zum wartenden Wagen.
    »Ich fahr euch nach Hause«, schlug Tommy vor.
    »Ach, lass nur   – wir können ein Taxi nehmen.«
    »Ich mach es gern, wenn ich bei euch übernachten kann.«
    Dick machte es sich auf dem Rücksitz bequem und blieb vollkommen stumm, bis sie am gelben Felsen von Golfe Juan und dem ständigen Karneval von Juan-les-Pins vorbei waren, wo die Nacht von der schrillen Musik vieler Sprachen erfüllt war. Als der Wagen den Abhang nach Tarmes hinauffuhr, setzte sich Dick, vom Schaukeln des Fahrzeugs geweckt, plötzlich auf und hielt eine Rede:
    »Eine reizende Vertreterin der   –« Er stockte. »Eine feste   – bitte bringen Sie mir einmal
Verfaultes Hirn auf englische Art

    |417| Danach sank er zufrieden wieder zurück in einen friedlichen Schlaf und rülpste ab und zu in die weiche, warme Dunkelheit.

6
    Am nächsten Morgen kam Dick schon sehr früh in Nicoles Zimmer. »Ich habe gewartet, bis ich gehört habe, dass du wach warst. Natürlich tut es mir leid wegen gestern, aber wie wäre es, wenn wir die Obduktion ausfallen lassen?«
    »Von mir aus«, sagte sie kühl und trug ihr Gesicht vor den Spiegel.
    »Hat uns Tommy nach Hause gefahren? Oder hab ich das geträumt?«
    »Du weißt es doch ganz genau.«
    »Scheint so«, gab er zu. »Ich hab ihn ja gerade erst husten hören. Ich glaube, ich geh ihn mal besuchen.«
    Sie war froh, als er wegging   – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Seine schreckliche Begabung, immer recht zu haben und alles zu wissen, schien ihn jetzt doch verlassen zu haben.
    Tommy bewegte sich in seinem Bett, er wartete auf den
Café au lait
.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Dick.
    Als Tommy über eine raue Kehle klagte, nahm er eine professionelle Haltung an. »Dann solltest du gurgeln oder so etwas.«
    »Hast du etwas zum Gurgeln da?«
    »Dummerweise nicht   – vielleicht hat Nicole was.«
    »Stör sie nicht.«
    »Sie ist schon auf.«
    |418| »Wie geht’s ihr?«
    Dick drehte sich sehr langsam um. »Dachtest du, sie wäre tot umgefallen, bloß weil ich besoffen war?« Sein Ton war spielerisch. »Nicole ist aus   – aus hartem Holz geschnitzt wie eine Georgia-Kiefer, nur das Lignum Vitae aus Neuseeland ist härter   –«
    Auf dem Weg nach unten hatte Nicole noch die letzten Sätze gehört. Sie hatte immer gewusst, dass Tommy sie liebte; sie wusste, dass er Dick nicht mehr mochte und dass Dick das schneller gemerkt hatte als Tommy selbst, und sie ahnte, dass Dick auf die einsame Leidenschaft des anderen irgendwie reagieren würde. Diesem Gedanken folgte ein Augenblick rein weiblicher Befriedigung: Während sie sich über den Frühstückstisch der Kinder beugte und der Gouvernante Instruktionen gab, waren oben zwei Männer intensiv mit ihr

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