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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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oder ihrer Persönlichkeit, sondern durch die Stärke ihrer äußeren Haltung; Nicole fand sie Furcht einflößend, und fühlte sich darin bestätigt, als die Gesellschaft sich jetzt vom Tisch erhob, während Dick allein sitzen blieb.
    Sein Gesicht zeigte eine eigenartige Miene, dann brachen |413| die Worte mit rauer Ungeschicklichkeit aus ihm heraus: »Ich kann solche peinlich geflüsterten englischen Andeutungen nicht ausstehen.«
    Obwohl sie den Raum schon fast verlassen hatte, drehte sich Lady Caroline noch einmal um und kehrte zu ihm zurück; sie sprach jetzt mit einer gepressten, durchdringenden Schärfe, die alle Anwesenden hören konnten.
    »Sie haben sich das selbst zuzuschreiben. Erst haben Sie meine Landsleute beleidigt, dann sind Sie über meine Freundin Mary Minghetti hergezogen. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass man Sie in Lausanne in fragwürdiger Gesellschaft 3* gesehen hat. Sind das peinlich geflüsterte Anspielungen? Oder sind sie einfach bloß
Ihnen
peinlich?«
    »Das war immer noch nicht laut genug«, sagte Dick ein bisschen zu spät. »Ich bin also ein notorischer   –«
    Golding zerquetschte den Satz mit seiner dröhnenden Stimme. »Was? Was?«, sagte er und trieb seine Gäste mit seinem wuchtigen Körper aus dem Salon. Als Nicole sich in der Tür noch einmal umwandte, sah sie, dass Dick noch immer am Tisch saß. Sie war wütend auf die Engländerin wegen ihrer absurden Behauptung und auf Dick, weil er sie hierhergebracht, sich betrunken und die scharfen Krallen seiner Ironie ausgefahren hatte und am Ende doch nur gedemütigt worden war. Und sie ärgerte sich umso mehr, weil sie wusste, dass die blasse Engländerin vor allem deshalb so wütend war, weil sie, Nicole, sich Tommy Barban geschnappt und ihn mit Beschlag belegt hatte, als sie hier eintrafen.
    Bald darauf sah sie Dick auf dem Gang stehen, wo er sich in völliger Selbstbeherrschung mit Golding zu unterhalten schien; dann sah sie ihn eine halbe Stunde lang gar nicht mehr. Sie verabschiedete sich abrupt aus einem komplizierten malaiischen Spiel, das mit Kaffeebohnen und Schnüren |414| gespielt wurde, und sagte zu Tommy: »Ich muss nach Dick suchen.«
    Seit dem Abendessen bewegte die Jacht sich in Richtung Westen. Die schöne Nacht strömte auf beiden Seiten vorbei, die Dieselmotoren hämmerten leise und der Aprilwind wehte Nicoles Haare heftig nach hinten, als sie zum Bug kam. Sie spürte einen ängstlichen Ruck, als sie ihren Mann im Winkel vor dem Flaggenmast stehen sah.
    Aber seine Stimme war heiter, als er sie begrüßte: »Schöne Nacht.«
    »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    »Ach, du hast dir Sorgen gemacht?«
    »Dick, red bitte nicht so. Es würde mir so viel Freude machen, wenn ich eine Kleinigkeit für dich tun könnte.«
    Er wandte sich ab und starrte den Schleier von Sternenlicht über Afrika an. »Das glaube ich dir sofort, Nicole. Und manchmal denke ich, je kleiner die Kleinigkeit wäre, desto mehr Freude würde es dir bereiten.«
    »Red nicht so, und sag nicht solche Sachen.«
    Im Licht des sternenübersäten Himmels und der schimmernden weißen Gischt sah sein Gesicht zwar blass aus, zeigte aber keine ärgerlichen Falten, wie sie erwartet hatte. Es sah eher gleichgültig aus; seine Augen konzentrierten sich nur allmählich auf sie wie auf eine Schachfigur, die bewegt werden musste; auf die gleiche langsame Art und Weise griff er plötzlich nach ihrem Handgelenk und zog sie zu sich heran.
    »Du hast mich ruiniert, was?«, fragte er sanft. »Dann sind wir jetzt beide ruiniert. Also   –«
    Ihr wurde eiskalt vor Angst, trotzdem überließ sie auch ihr anderes Handgelenk seinem Griff: Sie würde mit ihm gehen. In einem Augenblick völliger Empfänglichkeit und |415| Selbstaufgabe vertraute sie auf die Schönheit der Nacht. Wenn es sein musste, 4* dann   –
    Aber schon wurde sie unerwartet freigelassen, und Dick wandte sich seufzend ab. »Ts, ts!«
    Tränen strömten ihr übers Gesicht   – kurz darauf hörte sie, wie jemand sich näherte.
    Es war Tommy. »Du hast ihn gefunden!«, rief er. »Dick, stell dir vor, Nicole hat gedacht, du wärst über Bord gesprungen, weil dich diese kleine englische Torte beschimpft hat.«
    »Es wäre eine gute Kulisse, um über Bord zu springen«, sagte Dick milde.
    »Ja, nicht?«, stimmte Nicole hastig zu. »Kommt, wir leihen uns Schwimmwesten und springen. Ich finde, wir sollten etwas Spektakuläres tun. Unser Leben ist viel zu geordnet.«
    Tommy hob witternd die Nase, als ob

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