Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
menschliche Unreife, spielte die neueste Anziehpuppe für die Hurenlust ihrer Gattung. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie sich in dem Kleid da gefühlt hatte, besonders frisch und neu unter der knisternden jungen Seide.
    Papas kleines Mädchen. War sie ein kleines Tapferchen, 1* hat sie gelitten? Ooooh, wie süß! Das kleine Ding, war sie nicht einfach zu süß? Vor ihrer kleinen Faust sind die Mächte der Lust und Verderbnis zerschellt; der Marsch des Schicksals wurde gestoppt; das Unvermeidliche wurde vermeidbar, aller Verstand, alle Logik und Dialektik verdunsten. Die Frauen vergessen den Abwasch zu Hause und weinen, ja, |109| sogar innerhalb des Films weinte eine Frau so lange, dass sie Rosemary beinahe die Schau gestohlen hätte. Sie heulte in die teuren Kulissen   – in einem Esszimmer à la Duncan Phyfe, auf einem Flughafen, während einer Segelregatta, die nur in zwei Einblendungen auftauchte, in der U-Bahn und schließlich im Badezimmer. Am Ende triumphierte Rosemary, ihr edler Charakter, ihr Mut und ihre Standfestigkeit ließen sich von der vulgären Welt auf Dauer nicht unterkriegen. Aber man sah auch, wie viel Kraft sie das kostete, weil ihr Gesicht ja noch keine Maske geworden war. Es war so bewegend, dass die Herzen der ganzen Reihe ihr zuflogen. Einmal gab es eine Pause, in der die Lichter angingen, und nach dem Applaus sagte Dick ernsthaft zu ihr: »Ich bin überwältigt. Du wirst mal eine ganz große Schauspielerin.«
    Dann ging es zurück zu ›Daddy’s Girl‹: Glücklichere Tage und eine Einstellung von Rosemary, die endlich wieder mit ihrem Papa vereint war. Der Vaterkomplex 2* war dabei so offensichtlich, dass Dick sich stellvertretend für alle Psychiater schämte wegen der üblen Gefühlsduselei. Die Leinwand erlosch, das Licht ging an, und der Augenblick war gekommen.
    »Ich habe noch etwas«, erklärte Rosemary den Zuschauern. »Ich habe einen Test für Dick arrangiert.«
    »Einen was?«
    »Einen Leinwandtest,
Franco-American-Films
machen jetzt Probeaufnahmen mit ihm.«
    Es folgten ein schreckliches Schweigen und ein unterdrücktes Kichern des Ehepaars North. Rosemary sah zu, wie Dick mit einer zunächst sehr irischen Mimik allmählich begriff, was sie wollte, aber gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie ihren Trumpf irgendwie ungeschickt ausgespielt hatte. Dass es die falsche Karte war, merkte sie immer noch nicht.
    |110| »Ich will keinen Test«, 3* sagte Dick mit energischer Stimme; dann, mit ein bisschen mehr Abstand, fuhr er in leichterem Ton fort: »Rosemary, ich bin enttäuscht. Das Kino ist eine schöne Karriere für eine Frau   – aber, mein Gott, ich kann mich doch nicht fotografieren lassen. Ich bin ein betagter Wissenschaftler, der ganz in seinem Privatleben aufgeht.«
    Nicole und Mary drängten ihn ironisch, die Gelegenheit doch zu ergreifen; neckten ihn, auch weil sie ein bisschen ärgerlich waren, dass sie selbst nicht zu Probeaufnahmen gebeten wurden. Aber Dick beendete das Thema mit einem etwas säuerlichen Kommentar über die Schauspielerei: »An der Tür zum Nichts stehen wahrscheinlich deshalb so strenge Wächter, weil der Zustand der Leere so schändlich ist, dass er nicht enthüllt werden darf.«
    Danach saß sie im Taxi mit Dick und Collis Clay. Der junge Mann sollte irgendwo abgesetzt werden, und Dick wollte mit ihr zu einem Empfang gehen. Nicole und das Ehepaar North hatten gebeten, sie zu entschuldigen, weil es noch so viel zu tun gab, was Abe bis zuletzt unerledigt gelassen hatte.
    Rosemary machte ihm Vorwürfe. »Ich dachte, wenn die Aufnahmen gut wären, könnte ich sie mit nach Kalifornien nehmen. Und wenn sie denen gefallen hätten, hättest du auch nach Hollywood kommen und mein Partner in einem Film sein können.«
    Er war überwältigt. »Das ist ein ganz süßer Gedanke, aber ich glaube, ich möchte lieber
dich
ansehen. Du warst so ungefähr der netteste Anblick, den ich mir vorstellen kann.«
    »Großartiger Film«, sagte Collis. »Ich habe ihn viermal gesehen. Ich kenne einen Jungen in New Haven, der ihn |111| zwölfmal gesehen hat   – einmal ist er bis nach Hartford deswegen gefahren. Und als ich Rosemary mit nach New Haven gebracht habe, war er so eingeschüchtert, dass er ihr nicht mal vorgestellt werden wollte. Ist es zu fassen? Das kleine Mädchen hier haut sie alle um.«
    Dick und Rosemary sahen sich an. Sie wollten allein sein, aber Collis hatte das noch nicht ganz verstanden.
    »Ich setze Sie da ab, wo Sie hinmüssen«, schlug er vor.

Weitere Kostenlose Bücher