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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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stattfand.
    |114| Auf den Stufen saßen drei junge Frauen. Sie waren alle groß und schlank und hatten Frisuren wie Mannequins. Während sie redeten, wogten ihre kleinen Köpfe anmutig über den dunklen Schneiderkostümen wie langstielige Blumen oder die geblähten Hauben von Brillenschlangen.
    »Oh, sie liefern durchaus eine gute Show«, sagte eine von ihnen mit üppiger, tiefer Stimme. »Eigentlich die beste Schau in Paris   – ich bin die Letzte, die das nicht zugeben würde. Aber auf der anderen Seite   –« Sie seufzte. »Diese Sprüche, die er so draufhat   –
Ältester Einwohner angeknabbert von Ratten
– wiederholen sich dauernd. Aber lachen tut man nur einmal.«
    »Ich mag eigentlich lieber Leute mit etwas weniger glatter Oberfläche«, sagte die zweite. »Und
sie
kann ich einfach nicht
ausstehen

    »Ich war nie so richtig begeistert von ihnen und ihrem Gefolge. Wozu brauchen sie zum Beispiel den allzu flüssigen Mr North?«
    »Der ist unmöglich«, sagte die erste. »Aber ihr müsst zugeben, dass der Betreffende einer der charmantesten Männer sein kann, den ihr je kennengelernt habt.«
    Es war der erste Hinweis darauf, dass die Frauen über die Divers redeten, und Rosemarys Körper wurde vor Empörung ganz steif. Außerdem wurde ihre Gesprächspartnerin mit den leuchtenden blauen Augen, den roten Wangen, der gestärkten blauen Bluse und dem strengen grauen Kostüm, dieses Bild, nein, dieses
Plakat
eines Mädchens, jetzt ziemlich fordernd. Verzweifelt schob sie alle möglichen Dinge zwischen ihnen beiseite, weil sie offenbar fürchtete, dass Rosemary sie nicht richtig sehen konnte, bis es am Ende nicht mal mehr einen Schleier aus sprödem Humor gab, |115| hinter dem sie sich hätte verstecken können, und Rosemary voller Widerwillen merkte, wen sie da vor sich hatte.
    »Könntest du nicht zum Lunch mit mir gehen oder zum Dinner, oder zum Lunch einen Tag später?«, bettelte die junge Frau. Rosemary sah sich nach Dick um und entdeckte ihn bei der Gastgeberin 2* , mit der er geredet hatte, seit sie hereingekommen waren. Ihre Augen trafen sich, er nickte leicht   – und in diesem Augenblick wurde sie von den drei Brillenschlangen bemerkt; ihre langen Hälse stießen vor und ihre feinen kritischen Blicke saugten sich an ihr fest. Rosemary schaute trotzig zurück und gab damit zu verstehen, dass sie ihre Kommentare zur Kenntnis genommen hatte. Mit einem knappen, höflichen Schlusswort nahm sie Abschied von ihrer aufdringlichen Gesprächspartnerin, wie sie es gerade von Dick gelernt hatte, und schlenderte zu ihm hinüber.
    Die Gastgeberin, eine weitere hoch gewachsene, reiche Amerikanerin, die sorglos auf der nationalen Hochkonjunktur schwamm, fragte Dick zahllose Dinge über das »Hotel Gausse«, das sie offenbar aufzusuchen gedachte, und ließ sich dabei von seinem offensichtlichen Zögern nicht abhalten. Erst Rosemarys Auftauchen erinnerte sie wohl daran, dass sie ihre Pflichten als Gastgeberin vernachlässigt hatte. Sie sah sich um und sagte: »Haben Sie jemand Amüsantes getroffen? Kennen Sie schon Mr   –« Ihre Augen suchten eilig nach einem männlichen Gesprächspartner, der Rosemary interessieren könnte, aber Dick sagte, sie müssten jetzt gehen.
    Sie gingen auch tatsächlich sofort und kehrten aus der Zukunft wieder in die steinernen Fassaden der Vergangenheit draußen zurück.
    »War das nicht schrecklich?«, sagte er.
    |116| »Schrecklich«, bestätigte sie gehorsam.
    »Rosemary?«
    »Was ist?«, fragte sie mit ehrfürchtiger Stimme.
    »Das tut mir alles so schrecklich leid.«
    Sie wurde von einem hörbaren, schmerzhaften Schluchzen geschüttelt. »Hast du ein Taschentuch?«, fragte sie schließlich. Aber zum Heulen hatten sie nicht viel Zeit, und während draußen vor den Fenstern des Taxis die üppige, grüne Dämmerung fiel und durch den stetigen Regen die feuerroten, blauen und geisterhaft grünen Neonreklamen neblig hereinschimmerten, stürzten sich die ausgehungerten Liebenden auf die wenigen, raschen Sekunden. Es war beinahe sechs, die Straßen waren in Bewegung, die Bistros strahlten, und die Place de la Concorde glitt in rosiger Majestät vorbei, als das Taxi nach Norden abbog.
    Endlich hielten sie inne und sahen sich an, murmelten Kosenamen wie eine Beschwörung. Sanft blieben die beiden Namen in der Luft hängen, starben langsamer als die anderen Wörter und Namen, langsamer als jede Musik, die im Ohr nachklingt.
    »Ich weiß gar nicht, was gestern über mich gekommen ist«,

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