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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wird, und steckten tief in den Manteltaschen, damit man das Zittern nicht sah. Seit er keinen Hut mehr trug, sah man deutlich, dass nur die oberste Schicht seiner Haare nach hinten gekämmt war, der Rest zeigte entschlossen zur Seite. Er war kaum als der Mann zu erkennen, der vor vierzehn Tagen am Strand des Hotels Gausse gewesen und dort geschwommen war.
    Er war zu früh dran und schaute von links nach rechts, wobei er allerdings nur seine Augen bewegte; zum Gebrauch |125| irgendeines anderen Körperteils war er nicht in der Lage, dazu hätte er nervliche Kräfte gebraucht, die er nicht mehr besaß. Neu aussehende Gepäckstücke wurden an ihm vorbeigerollt; künftige Schiffspassagiere mit dunklen kleinen Körpern und dunklen, durchdringenden Stimmen riefen: »Hallo, Jules!«
    Während er überlegte, ob er vielleicht noch Zeit für einen Drink an der Bar hätte, und seine Hände sich in seiner Tasche um ein nasses Bündel von Tausend-Franc-Scheinen schlossen, kamen seine Pendelblicke auf einer Erscheinung am oberen Ende der Treppe zur Ruhe: Nicole. Er beobachtete sie   – sie entblößte sich mit ihrem Gesichtsausdruck, so wie Leute sich jemand entblößen, der auf sie wartet, aber selbst noch nicht entdeckt worden ist. Sie runzelte die Stirn, dachte an ihre Kinder, zählte sie innerlich mit der Pfote wie eine Katze die Jungen.
    Als sie Abe sah, verschwand diese Anwandlung aus ihrem Gesicht; das Morgenlicht unter der Kuppel war traurig, und mit seinen dunklen Augenringen, die der Sonnenbrand nicht verdeckte, war Abe eine schwermütige, düstere Gestalt. Sie setzten sich auf eine Bank.
    »Ich bin gekommen, weil du mich gebeten hast«, sagte Nicole abwehrend. Abe schien vergessen zu haben, warum er sie darum gebeten hatte, und Nicole war völlig damit zufrieden, die Reisenden zu beobachten, die an ihnen vorbeiliefen.
    »Das wird bestimmt die Schönheitskönigin auf dem Schiff«, sagte sie. »Die mit den vielen Männern, die sich von ihr verabschieden. Verstehst du, warum sie sich dieses Kleid gekauft hat?« Nicole redete schneller und schneller. »Das hätte niemand anderes gekauft, als die Schiffskönigin. Verstehst du? Nein? Wach auf! Das ist ein Kleid mit Geschichte; |126| der Stoff erzählt eine Geschichte, und Leute auf einer Weltreise sind garantiert einsam genug, um sie hören zu wollen.«
    Sie biss die letzten Worte kurz ab; sie hatte für ihre Verhältnisse schon zu viel geredet, aber Abe fand es schwer, an ihrem Gesicht abzulesen, ob sie überhaupt etwas gesagt hatte. Mühsam zog er sich hoch, und jetzt sah es so aus, als ob er stünde, obwohl er immer noch saß.
    »Dieser Tag, als ihr mich zu diesem komischen Ball mitgenommen habt«, sagte er. »Du weißt schon, St Genevieve’s   –«
    »Ich weiß, das war lustig, nicht war?«
    »Ich fand’s überhaupt nicht lustig. Ich hab diesmal überhaupt keinen Spaß mit euch gehabt. Ich habe euch beide satt, aber es merkt keiner, weil ihr mich noch mehr satthabt   – du weißt, was ich meine. Wenn ich noch Energie hätte, würd ich mir neue Leute suchen.«
    Als Nicole zurückschlug, war eine harte Kante in ihren Samthandschuhen zu spüren: »Unangenehm zu werden ist ziemlich dumm, Abe. Außerdem meinst du es gar nicht. Ich weiß nicht, warum du dich so gehen lässt.«
    Abe überlegte und versuchte, weder zu husten noch sich die Nase zu putzen. »Ich nehme an, ich hab mich gelangweilt; und dann war der Rückweg plötzlich so schrecklich weit.«
    Ein Mann spielt vor einer Frau oft das hilflose Kind, aber wenn er sich tatsächlich so fühlt, gelingt es ihm meistens nicht.
    »Das ist keine Entschuldigung«, sagte Nicole trocken.
    Von Minute zu Minute fühlte sich Abe miserabler   – es fielen ihm einfach nur widrige Dinge ein. Nicole wiederum hatte beschlossen, dass die einzige korrekte Haltung jetzt |127| darin bestand, die Hände auf die Oberschenkel zu legen und geradeaus zu sehen. Eine Weile sagten sie gar nichts, sondern entfernten sich nur voneinander. Luft holen konnten sie nur, weil es blauen Raum vor ihnen gab, einen Himmel, den der andere nicht sah. Im Gegensatz zu Liebenden hatten sie keine Vergangenheit, und im Gegensatz zu Mann und Frau hatten sie keine Zukunft; dennoch hatte Nicole ihn bis zu diesem Tag lieber gemocht als jeden anderen Mann außer Dick   – und er hatte seit Jahren schwer an seiner bis in die Eingeweide angsterfüllten Liebe zu ihr getragen.
    »Ich hab die Frauenwelten satt«, sagte er plötzlich.
    »Dann mach dir doch eine

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