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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Was er hörte, war:
    »Hallo.«
    »Ja, bitte?«
    »Ja, hallo.«
    »Wer sind Sie?«
    »Na ja.« Es folgte eine Serie von kurzen, schnaubenden Lachern. »Also, ich hole mal jemand anderen.«
    Manchmal hörte Dick die Stimme seines Freundes, begleitet von Füßescharren, Schubsen und Fallenlassen des Hörers, sowie weit entfernten Protesten: »Nein, Mr North, das will ich nicht   …« Schließlich dann eine knappe, entschiedene Stimme, die sagte: »Wenn Sie ein Freund von Mr North sind, dann kommen Sie jetzt her und holen ihn ab.«
    Dann mischte sich Abe wieder ein, feierlich und bedächtig, und walzte alles mit einem Unterton bodenständiger Entschlossenheit nieder: »Dick, ich habe am Montparnasse Rassenunruhen ausgelöst. Ich fahre jetzt rüber und hole Freeman aus dem Gefängnis. Wenn ein Neger aus Kopenhagen, der Schuhwichse herstellt   – hallo, kannst du mich hören? Also, wenn jemand kommt   –« Aus dem Hörer kam wieder ein Chorgesang zahlloser Stimmen.
    »Wieso bist du zurück in Paris?«, wollte Dick wissen.
    |153| »Ich bin bis nach Évreux 3* gefahren, dann habe ich beschlossen, mit einem Flieger zurückzukommen, um die Kathedrale mit Saint-Sulpice zu vergleichen. Also Saint-Sulpice brauche ich ja nicht nach Paris zu bringen. Ich rede auch nicht vom Barock! Ich hab Saint-Germain gemeint. Um Gottes willen, warte mal, ich hol mal den Pagen an den Apparat.«
    »Lass das, um Himmels willen!«
    »Hör mal   – ist Mary gut weggekommen?«
    »Ja.«
    »Dick, ich möchte, dass du mit einem Mann redest, den ich heute hier kennengelernt habe. Er ist der Sohn von einem Marineoffizier und war schon bei allen Ärzten Europas. Ich erzähl dir mal, worum es geht   –«
    An diesem Punkt hatte Dick aufgelegt   – was vielleicht etwas undankbar war, denn eigentlich konnte er etwas Schrot für die rotierenden Mühlsteine in seinem Kopf gut gebrauchen.
    »Abe war früher so nett«, sagte Nicole zu Rosemary. »Wirklich sehr nett. Damals, als Dick und ich gerade geheiratet hatten. Da hättest du ihn kennenlernen sollen. Er hat wochenlang bei uns gewohnt, und wir haben kaum gemerkt, dass er da war. Manchmal hat er uns was vorgespielt, manchmal hat er in der Bibliothek gesessen mit gedämpftem Piano. Stundenlang hat er die Tasten gestreichelt   – erinnerst du dich noch an das Hausmädchen, Dick? Sie dachte, er wäre ein Geist, und manchmal, wenn er sie im Flur traf, hat Abe
buh!
gemacht. Hat uns mal ein komplettes Teeservice gekostet, aber das war uns egal.«
    So viel Spaß   – vor so langer Zeit. Rosemary beneidete sie um diesen Spaß. Sie stellte sich ein Leben des Müßiggangs vor, das gänzlich anders als ihres war. Sie wusste nicht viel |154| über den Müßiggang, aber wie alle, die ihn nicht kennen, hatte sie einen großen Respekt davor. Sie dachte, er hätte mit Ruhe zu tun, ohne recht zu bemerken, dass die Divers genauso wenig entspannt wie sie selbst waren.
    »Was hat ihn dazu gebracht?«, fragte sie. »Warum trinkt er?«
    Nicole schüttelte den Kopf nach rechts und links, um jede Verantwortung von sich zu weisen. »So viele gute Männer gehen heutzutage kaputt.«
    »Und wann wäre das nicht so gewesen?«, fragte Dick. »Gute Männer segeln hart am Wind, das geht gar nicht anders   – und manche halten es eben nicht aus und geben sich auf.«
    »Es muss tiefere Ursachen geben als das.« Nicole blieb bei ihrer Linie; außerdem ärgerte es sie, dass ihr Dick vor Rosemary widersprach. »Künstler wie   – na ja, wie Fernand 4* scheinen doch nicht im Alkohol waten zu müssen. Warum sind es immer bloß die Amerikaner, die so versacken?«
    Darauf gab es so viele Antworten, dass Dick es vorzog, nichts zu sagen und die Frage dauerhaft in Nicoles Ohren nachhallen zu lassen. Er war ihr gegenüber jetzt äußerst kritisch. Obwohl er sie für das attraktivste Geschöpf hielt, das er je gesehen hatte, und alles von ihr bekam, was er brauchte, spürte er aus der Ferne, dass es zum Streit kommen könnte und hatte sich unbewusst schon seit Stunden zum Kampf gerüstet. Er neigte nicht dazu, sich gehen zu lassen, und schämte sich wegen seiner gegenwärtigen Unbeherrschtheit; dennoch hoffte er wider besseres Wissen, dass Nicole nur eine leichte Gefühlsaufwallung wegen Rosemary bei ihm vermutete. Allerdings war er sich keineswegs sicher   – gestern Abend im Theater hatte sie Rosemary mehrfach sehr pointiert als »Kind« bezeichnet.
    |155| Sie speisten zu dritt im Hotel, in einer Atmosphäre von Plüschteppichen und

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