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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Kellnern, die lautlos, aber durchaus nicht im flotten Quickstep servierten wie in den Restaurants, in denen sie sonst immer aßen. Hier saßen amerikanische Familien, die andere amerikanische Familien anstarrten und dabei Konversation machten.
    Am Nachbartisch saß eine Gruppe, die sie nicht recht einordnen konnten. Sie bestand aus einem mitteilsamen jungen Mann, der   – könnten-Sie-das-bitte-wiederholen   – wie ein Sekretär wirkte, und zahlreichen Frauen. Die Frauen waren teils jünger, teils älter und schienen keiner besonderen gesellschaftlichen Schicht anzugehören; dennoch bildete die Gruppe eine geschlossene Einheit. Es waren jedenfalls nicht bloß die Ehefrauen von Männern, die einen Kongress besuchten. Und eine beliebige Gruppe von Touristen waren sie auch nicht.
    Sein Instinkt bewahrte Dick davor, die spöttische Bemerkung zu machen, die ihm schon auf der Zunge lag; stattdessen fragte er den Kellner, um wen es sich handelte.
    »Das sind die
Gold Star Mothers
«, 5* erklärte der Kellner.
    Sie reagierten mit den verschiedensten lauten und leisen Ausrufen. Rosemarys Augen füllten sich spontan mit Tränen.
    »Die jungen sind wahrscheinlich die Ehefrauen«, sagte Nicole.
    Über sein Weinglas hinweg blickte Dick erneut zu den Frauen hinüber; in ihren glücklichen Gesichtern und der Würde, die ihre Gruppe umgab, erkannte er die Reife des alten Amerika. So verliehen diese ernsten Frauen, die gekommen waren, um in Frankreich ihre Toten, etwas Unwiederbringliches, zu betrauern, dem Speisesaal Schönheit. Für einen Augenblick saß Richard wieder auf dem Schoß |156| seines Vaters und ritt mit den Reitern von Mosby 6* , wo die alten Werte noch galten. Er musste sich fast einen Ruck geben, ehe er sich wieder den beiden Frauen an seinem Tisch und der neuen Welt widmen konnte, an die er jetzt glaubte.
    –
Haben Sie etwas dagegen, wenn ich den Vorhang zuziehe?

23
    Abe North war immer noch in der Bar des »Ritz«, wo er sich seit neun Uhr morgens aufhielt. Als er hier Schutz gesucht hatte, standen die Fenster weit offen, und die Sonnenstrahlen saugten den Staub aus den verrauchten Polstern und Teppichen. Pagen flitzten körperlos und befreit durch die Korridore, als flögen sie durch den Weltraum. Die Bar auf der anderen Seite, in der sich auch Frauen aufhalten durften, sah sehr klein aus, man konnte sich gar nicht vorstellen, was für Massen dort am Nachmittag Platz fanden.
    Paul, der berühmte Pächter der »Ritz«-Bar, war noch nicht eingetroffen, aber Claude, der gerade die Vorräte prüfte, brach seine Tätigkeit ohne unangemessene Überraschung ab, um Abe einen Muntermacher zu mixen. Abe saß auf einer Bank mit dem Rücken zur Wand. Nach zwei Drinks fühlte er sich etwas besser   – so viel besser, dass er sich zum Friseur begab und sich rasieren ließ. Als er in die Bar zurückkehrte, war inzwischen auch Paul eingetroffen   – er hatte seine Limousine, eine Spezialanfertigung, korrekterweise schon auf dem Boulevard des Capucines verlassen. 1* Paul mochte Abe und kam herüber, um ein bisschen zu reden.
    »Ich hätte eigentlich heute Morgen auf dem Schiff nach |157| Amerika sein sollen«, erklärte Abe. »Ich meine gestern, oder was immer für ein Tag heute ist.«
    »Und warum sind Sie das nicht?«, fragte Paul.
    Abe überlegte und fand schließlich auch einen Grund: »Ich habe in ›Liberty‹ einen Roman gelesen, und die nächste Fortsetzung soll hier in Paris erscheinen   – wenn ich gefahren wäre, hätte ich sie nie zu Gesicht bekommen.«
    »Das muss eine sehr gute Geschichte sein.«
    »Die Geschichte ist g-grässlich.«
    Paul stand auf, lehnte sich an einen Sessel und lachte: »Wenn Sie wirklich weg wollen, Mr.   North   – Freunde von Ihnen sind morgen Nachmittag auf der ›France‹: Mr Wieheißt-er-doch-gleich und Slim Pearson. Mister Gleichfällt-es-mir-ein, groß, neuerdings mit einem Bart   –«
    »Yardly«, ergänzte Abe.
    »Mr Yardly, genau. Sie fahren beide auf der ›France‹.«
    Paul wollte jetzt wieder an seinen Arbeitsplatz, aber Abe versuchte, ihn noch ein wenig zurückzuhalten: »Tja, wenn ich nicht über Cherbourg fahren müsste. Das Gepäck ist über Cherbourg gegangen.«
    »Das können Sie doch in New York einsammeln«, sagte Paul und zog sich zurück.
    Die Logik des Vorschlags passte zu Abes Stimmungslage   – es gefiel ihm sehr, dass man sich um ihn sorgte, denn es erlaubte ihm, seinen Zustand der Verantwortungslosigkeit noch etwas zu verlängern.
    Inzwischen

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