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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Klavier.
    Er wusste nicht recht, wo er hinsollte. Das Haus hatte Nicole eingerichtet, und ihr Großvater hatte dafür bezahlt. |262| Ihm gehörte nur das Gartenhaus mit seinem Arbeitszimmer und das kleine Grundstück, auf dem es stand. Von seinen dreitausend im Jahr und dem, was für seine Veröffentlichungen hereintröpfelte, bezahlte er nur seine Kleider und persönlichen Ausgaben, die Weinrechnungen und Laniers Erziehung, die sich bislang auf das Gehalt des Kindermädchens beschränkte. Es war nie etwas unternommen worden, zu dem Dick nicht sein Scherflein beitrug. Er lebte ziemlich sparsam, reiste immer nur Dritter Klasse, wenn er allein war, trank den billigsten Wein, pflegte seine Kleidung sorgfältig und bestrafte sich für alle Extravaganzen. Auf diese Weise war es ihm möglich gewesen, seine finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren. Von einem gewissen Punkt an wurde es allerdings schwierig   – wieder und wieder wurde es nötig, gemeinsam darüber zu beschließen, was mit Nicoles Geld gemacht werden sollte. Natürlich wollte Nicole ihn besitzen, und deshalb wollte sie, dass er stillstand. Sie unterstützte jede Nachlässigkeit bei ihm und überschwemmte ihn mit einem ständigen Strom von Waren und Geld. Die Villa am Meer, die zunächst als Fantasie begonnen hatte, war ein typisches Beispiel für die Kräfte, die sie von ihren bescheidenen Anfängen in Zürich weggeführt hatten.
    »Wäre es nicht lustig, wenn wir   –«, hieß es am Anfang, und dann: »Das wird schön, wenn wir erst   –«
    Ganz so lustig war es dann nicht geworden. Seine Arbeit hatte sich in Nicoles gesundheitlichen Problemen verhakt; außerdem hatte sich ihr Einkommen so rasch gesteigert, dass seine Arbeit daneben geradezu niedlich aussah. Um ihrer Genesung willen hatte er eine strenge Häuslichkeit vorgetäuscht, der er sich allerdings lieber entzogen hätte. Es fiel ihm auch immer schwerer, an diesem entspannten gemeinsamen Müßiggang festzuhalten, der ihn unweigerlich |263| zum Gegenstand genauester Beobachtung machte. Wenn er nicht mehr auf dem Klavier spielen konnte, wozu er gerade Lust hatte, dann war das ein Zeichen dafür, dass sich das Leben in hohem Maß zugespitzt hatte. Er blieb lange im großen Salon und hörte dem Summen der elektrischen Uhr zu, das ihm wie die Zeit selbst erschien.
     
    Im November wurden die Wellen schwarz und spritzten über die Ufermauer bis auf die Küstenstraße   – was vom Sommerleben noch übrig war, verschwand. Die Strände lagen verlassen und melancholisch unter dem Regen und dem Mistral. Das »Hotel Gausse« war geschlossen, es sollte renoviert und erweitert werden, und das Gerüst am Casino in Juan-les-Pins wurde immer höher und schrecklicher. Wenn sie nach Cannes oder Nizza hinunterfuhren, lernten sie neue Leute kennen: Orchestermitglieder, Gastronomen, Gartenliebhaber, Schiffsbauer   – Dick hatte ein altes Dingi gekauft   – und andere Mitglieder des
Syndicat d’Initiative
. Ihre Dienstboten kannten sie gut und der Erziehung ihrer Kinder widmeten sie viele Gedanken. Im Dezember schien Nicole wieder völlig gefestigt, und als ein ganzer Monat ohne Spannungen vergangen war, ohne das unmotivierte Lächeln, die abgründigen Bemerkungen und den verkniffenen Mund, fuhren sie in die Schweizer Alpen, um Weihnachtsferien zu machen.

13
    Ehe er eintrat, schlug sich Dick mit der Mütze den Schnee von seinem dunkelblauen Ski-Anzug. Die große Eingangshalle, deren Boden die Pockennarben von zwei Jahrzehnten |264| genagelter Stiefel trug, war leer geräumt für den Tanztee, und etwa achtzig junge Amerikaner aus den Schulen in der Nähe von Gstaad hüpften fröhlich herum. ›Don’t Bring Lulu‹ war angesagt, wenn sie nicht gerade in explosiven Charleston ausbrachen. Es war dies nur eine teure Kolonie für die jungen, schlichten Gemüter   – die eigentlichen Sturmtruppen der Reichen waren in St Moritz. Baby Warren hatte denn auch erklärt, dass es ein Opfer war, dass sie sich hier mit den Divers traf.
    Dick sah die beiden Schwestern, die auf der anderen Seite des leicht schwankenden, gespenstischen Raumes saßen, sofort   – sie waren sehr plakativ und eindrucksvoll in ihren himmelblauen (Nicole) und ziegelroten (Baby) Schneeanzügen. Der junge Engländer unterhielt sich mit ihnen, aber sie hörten nicht zu; das einlullende Gezappel der jungen Leute hypnotisierte sie offenbar so, dass sie nur noch vor sich hinstarren konnten.
    Nicoles schneewarmes Gesicht hellte sich noch etwas mehr auf,

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