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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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|259| wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass er sich über Nicole ärgerte, die nach all den Jahren in der Lage hätte sein müssen, Stresssymptome bei sich zu erkennen und sich dagegen zu wappnen. Innerhalb von vierzehn Tagen war sie jetzt zweimal zusammengebrochen: Das eine Mal bei dem Abendessen in Tarmes, als er sie im Schlafzimmer vorfand, wo sie Mrs McKisco unter schrillem Gelächter erklärte, sie könne nicht ins Bad, weil der Schlüssel im Brunnen läge. Mrs McKisco war erstaunt und verärgert gewesen, hatte aber doch letztlich Verständnis bewiesen. Dick war nicht sonderlich alarmiert gewesen, denn Nicole hatte sich danach reuig gezeigt. Sie hatte sogar noch im »Hotel Gausse« angerufen, aber die McKiscos waren schon abgereist.
    Der Zusammenbruch in Paris war eine andere Sache, insbesondere weil er den ersten bedeutsamer machte. Er war womöglich der Vorbote eines neuen Zyklus und kündigte einen neuen Schub der Krankheit an. Nach Topsys Geburt hatte Nicole einen Rückfall gehabt, und er hatte sehr unprofessionelle Qualen gelitten. Damals hatte er sich ihr gegenüber notgedrungen verhärtet, machte seitdem einen deutlichen Unterschied zwischen der kranken und der gesunden Nicole. Das machte es aber schwer für ihn, zwischen professioneller, dem Selbstschutz dienender Sachlichkeit und einer neuen Kälte in seinem Herzen zu unterscheiden wie jetzt. So wie aus Gleichgültigkeit Leere wird, wenn man sie pflegt oder absterben lässt, so hatte er gelernt, sich Nicoles zu entleeren. Eigentlich gegen seinen Willen behandelte er sie gezielt mit Strenge und emotionalem Entzug.
    Man redet oft von verheilten Narben der Seele, was eine vage Parallele zur Pathologie der Haut impliziert, aber es gibt nichts dergleichen im Leben des Einzelnen. Es gibt nur offene Wunden, die zwar manchmal zu einem Nadelstich schrumpfen |260| können, aber trotzdem noch Wunden bleiben. Die Zeichen des Leidens lassen sich eher mit dem Verlust eines Fingers oder eines Auges vergleichen. Auch die vermisst man vielleicht im ganzen Jahr kaum eine Minute, aber wenn man sie vermisst, kann niemand etwas dagegen tun.

12
    Er fand Nicole im Garten, wo sie mit den Händen ihre Schultern umfasste. Mit ihren grauen Augen sah sie ihn gerade an, mit der fragenden Neugier des Kindes.
    »Ich war in Cannes«, sagte er. »Da habe ich Mrs Speers getroffen. Sie reist morgen ab. Sie wollte eigentlich noch heraufkommen und sich von dir verabschieden, aber das hab ich im Ansatz gestoppt.«
    »Das tut mir leid. Ich hätte sie gern noch einmal gesehen. Ich mag sie.«
    »Rat mal, wen ich noch getroffen habe! Bartholomew Tailor.«
    »Das gibt’s ja nicht.«
    »Den hätte ich überall wiedererkannt mit seinem Wieselgesicht. Ich glaube, er ist als Kundschafter für Ciros Menagerie unterwegs   – nächstes Jahr wollen sie alle herkommen. Ich habe den Verdacht, Mrs Abrams war so eine Art Vorhut.«
    »Und Baby war so wütend, als wir im ersten Sommer hier herkamen!«
    »Denen ist es doch völlig egal, wo sie sind. Von mir aus können sie gern in Deauville bleiben und frieren.«
    »Können wir nicht ein paar Gerüchte über Cholerafälle ausstreuen?«
    |261| »Ich habe Bartholomew gesagt, dass manche Typen hier wie die Fliegen sterben   – ich habe ihm gesagt, die Lebensdauer eines Schnorrers ist hier genauso kurz wie die eines Maschinengewehrschützen im Krieg.«
    »Doch nicht im Ernst?«
    »Nein«, gab er zu. »Er war sehr liebenswürdig. Es war ein herrlicher Anblick, als wir uns auf der Croisette die Hände geschüttelt haben. So wie das Treffen von Sigmund Freud und Ward McAllister.«
    Dick wollte nicht reden   – er wollte allein sein, um an die Arbeit und seine Zukunft zu denken und die Gedanken an Liebe und die Gegenwart zu verdrängen. Nicole wusste das, aber nur dunkel und tragisch; sie hasste ihn dafür wie ein Tier, aber zugleich hätte sie sich gern an seiner Schulter gerieben.
    »Er ist schon ein Schatz«, sagte Dick leichthin.
    Er ging ins Haus, aber als er dort angekommen war, hatte er schon vergessen, was er da eigentlich wollte. Dann fiel es ihm wieder ein, er setzte sich ans Klavier und improvisierte:
    Just picture you upon my knee
    With tea for two and two for tea
    And me for you and you for me   –
    Aber während er noch vor sich hinpfiff, wurde ihm plötzlich klar, dass Nicole mit Sicherheit merken würde, wie er sich nach den letzten zwei Wochen sehnte, wenn er jetzt weiterspielte. Mit einem beliebigen Akkord brach er ab und verließ das

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