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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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als sie Dick sah. »Wo ist er denn?«
    »Er hat den Zug verpasst   – wir treffen uns später.« Dick setzte sich und schlug die schwer bestiefelten Beine übereinander. »Ihr zwei seht fantastisch zusammen aus. Ab und zu vergesse ich fast, dass wir zusammengehören, und bin ganz erschrocken, wenn ich euch sehe.«
    Baby war eine hoch gewachsene, gut aussehende Frau, die sehr damit beschäftigt war, dass sie bald dreißig wurde. Bezeichnenderweise hatte sie gleich zwei Männer mit sich aus London heruntergezogen, von denen einer gerade erst Cambridge hinter sich hatte, während der andere alt und von hartgesottener viktorianischer Lüsternheit war. Baby zeigte inzwischen schon einige Symptome einer alten Jungfer   – Berührungen waren ihr fremd, wenn ihr jemand |265| zu nahe kam, schrak sie zusammen, und Küsse oder Umarmungen schossen vom Fleisch direkt an die vorderste Front des Gehirns. Ihren Rumpf bewegte sie wenig   – dafür stampfte sie gelegentlich auf altmodische Weise mit den Füßen auf oder warf heftig den Kopf zurück. Sie genoss den Vorgeschmack des Todes, der sich in den Katastrophen von Freunden ankündigte, und klammerte sich hartnäckig an die Vorstellung von Nicoles tragischem Schicksal.
    Babys jüngerer Engländer hatte die beiden Frauen auf geeignete Hänge geführt und mit der Bobbahn erschreckt. Dick hatte sich bei einem allzu ambitionierten Telemark den Knöchel verstaucht und trieb sich jetzt mit den Kindern auf dem »Idiotenhügel« herum, sofern er nicht gerade mit einem russischen Arzt im Hotel Kwass trank.
    »Jetzt sei doch mal glücklich, Dick«, drängte Nicole ihn. »Warum forderst du nicht ein paar von diesen kleinen Mädchen zum Tanzen auf heute Nachmittag?«
    »Und was soll ich mit denen reden?«
    Ihre leise, fast heisere Stimme stieg um einige Töne und simulierte eine jammernde Koketterie: »Sag doch: Na, Kleine, du biss ja soo hübsch! Was willst du denn sonst sagen?«
    »Ich mag keine kleinen Mädchen. Sie riechen nach Palmolive und Pfefferminz. Wenn ich mit ihnen tanze, hab ich das Gefühl, einen Kinderwagen zu schieben.« Es war ein gefährliches Thema, und er starrte immer so vorsichtig über die Köpfe der jungen Mädchen hinweg, dass es schon an Verlegenheit grenzte.
    »Es gibt eine Menge zu besprechen«, sagte Baby. »Es gibt Nachrichten von zu Hause   – das Gelände, das wir immer das Bahnhofsgrundstück genannt haben. Die Eisenbahnen haben erst nur den Teil in der Mitte gekauft. Jetzt haben sie auch noch den Rest übernommen. Das Grundstück hat |266| Mutter gehört. Deshalb müssen wir jetzt überlegen, wie wir das Geld investieren.«
    Der junge Engländer gab vor, dass ihn diese unappetitliche Wendung des Gesprächs nicht interessierte, und brach zu einem der tanzenden Mädchen auf. Baby, immer noch fest im Griff ihrer lebenslangen Anglophilie, folgte ihm einen Moment mit den Augen, dann fuhr sie fast trotzig fort: »Es geht um eine Menge Geld. Dreihunderttausend für jede von uns. Ich weiß schon, wo ich mein Geld investiere, aber Nicole versteht gar nichts von Wertpapieren, und du wohl auch nicht, nehme ich an.«
    »Ich muss jetzt zum Zug«, sagte Dick ausweichend.
    Draußen sog er bei jedem Atemzug nasse Schneeflocken ein, die er vor dem dunklen Himmel jetzt nicht mehr sehen konnte. Mit einem Warnruf in einer fremden Sprache sausten drei Kinder auf ihrem Schlitten vorbei; an der nächsten Kurve hörte er sie noch einmal schreien, und ein Stück weiter kam ein Pferdeschlitten mit klingelnden Glöckchen im Dunkeln den Abhang herauf. Der Bahnhof glänzte erwartungsvoll; Jungs und Mädchen warteten auf neue Mädchen und Jungs, und als der Zug schließlich eintraf, hatte Richard den hiesigen Lebensrhythmus begriffen und tat gegenüber Franz Gregorovius so, als hätte er ihm zuliebe eine halbe Stunde abgezweigt von einer Serie endloser Ferienfreuden.
    Aber Franz war von einer Zielstrebigkeit, die irgendwelche Stimmungen Richards von vornherein ausschloss. »Ich könnte ja für einen Tag nach Zürich rauffahren«, hatte Richard geschrieben. »Oder vielleicht können wir uns in Lausanne treffen.« Stattdessen war Franz den ganzen Weg nach Gstaad gekommen.
    Franz war jetzt vierzig, und seine angenehmen professionellen |267| Manieren beruhten auf einer gesunden Reife, aber vor allem fühlte er sich in der Sicherheit einer spießigen Selbstgerechtigkeit wohl, die es ihm erlaubte, die kaputten Reichen, die er umerzog, zu verachten. Sein wissenschaftliches Erbteil

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