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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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überzieht.
    Mit Mühe versuchte er die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass er genauso abgeklärt sei wie Mrs Speers. »Sie und Rosemary sind sich eigentlich gar nicht ähnlich«, sagte er. »Was sie von Ihnen gelernt hat, ist ganz in ihre Person eingeflossen, in die Maske, mit der sie der Welt begegnet. Sie denkt nicht; im Grunde ihres Herzens ist sie irisch, romantisch und unlogisch.«
    Auch Mrs Speers wusste, dass Rosemary trotz ihrer zarten Oberfläche ein junger Mustang war, ganz offensichtlich |254| die Tochter von Captain Hoyt von der U S-Armee . Bei einer Sektion hätte sich wahrscheinlich gezeigt, dass sie ein Herz, eine Leber und eine Seele von gewaltigen Ausmaßen hatte, die sehr gedrängt in der schönen Hülle verpackt waren.
    Als sie sich verabschiedeten, spürte Dick Elsie Speers’ vollen Charme und merkte, dass sie mehr für ihn war als nur ein letzter, widerwillig aufgegebener Überrest ihrer Tochter. Rosemary hätte er vielleicht erfinden können   – aber ihre Mutter niemals. Mit dem Mantel, den Sporen und den Brillanten, in denen Rosemary davongegangen war, hatte seine Fantasie die junge Frau ausgestattet, die Anmut ihrer Mutter dagegen konnte er in dem Bewusstsein genießen, dass er selbst nichts dazu hatte beitragen müssen. Mrs Speers hatte eine Aura des Wartens auf einen Mann, der etwas Dringenderes zu tun hatte, als sich um sie zu kümmern, der eine Schlacht oder Operation leiten musste und dabei nicht gestört werden durfte. Wenn der Mann seine Aufgabe erledigt hatte, würde sie da sein, auf einem hohen Hocker sitzen und ohne Ungeduld oder Nervosität in der Zeitung blättern.
    »Leben Sie wohl! Ich möchte, dass Sie beide wissen, dass Nicole und ich Sie sehr mögen.«
     
    Als er wieder in der Villa Diana war, ging er in sein Arbeitszimmer und öffnete die zur Abwehr der Mittagshitze geschlossenen Fensterläden. Auf zwei langen Tischen lagen die Materialien für sein Buch in geordneter Konfusion. Band Eins, in dem es um die Klassifizierung ging, hatte in einer kleinen, subventionierten Ausgabe einen gewissen Erfolg gehabt, und jetzt verhandelte er wegen der Nachauflage. Band Zwei sollte eine erhebliche Erweiterung seines ersten kleinen Buchs ›Psychopathologie für Psychiater‹ werden. Wie so viele Menschen hatte er festgestellt, dass er |255| nur ein oder zwei Ideen hatte und seine kleine Aufsatzsammlung, die jetzt schon in der fünfzigsten deutschen Auflage vorlag, den Keim all dessen enthielt, was er je denken und wissen würde.
    Im Moment machte er sich allerdings Sorgen um seine Arbeit. Es tat ihm leid um die verlorenen Jahre in Yale, aber vor allem irritierte ihn der Gegensatz zwischen dem wachsenden Luxus, in dem sie lebten, und der Notwendigkeit, sein Werk zu veröffentlichen. Immer wieder musste er an seinen rumänischen Freund und die Geschichte von dem Mann denken, der jahrelang das Gehirn des Gürteltiers untersucht hatte. Er hatte Sorge, dass geduldige Deutsche in den Berliner und Wiener Bibliotheken saßen und seine Erkenntnisse am Ende kaltschnäuzig vorwegnehmen würden. Er hatte daher beschlossen, das Werk in seinem jetzigen Zustand ohne großen Anmerkungsapparat als Einleitung von etwa 100   000   Wörtern zu einer späteren wissenschaftlichen Ausarbeitung in mehreren Bänden drucken zu lassen.
    Er bekräftigte diesen Entschluss jetzt, als er in den letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags in seinem Arbeitszimmer herumging. Auf diese Weise konnte er im Frühjahr fertig sein. Allerdings schien es ihm auf einen schwerwiegenden Fehler in seinem Plan hinzuweisen, wenn ein Mann von seinem Elan ein ganzes Jahr von zunehmenden Zweifeln verfolgt wurde.
    Er legte die goldglänzenden Messingbarren, die er als Briefbeschwerer benutzte, auf seine Notizstapel. Er fegte den Boden, denn das Dienstpersonal durfte diesen Raum nicht betreten, behandelte das Badezimmer kurz mit
Bon Ami
, reparierte einen Paravant und schickte eine Buchbestellung an einen Verleger in Zürich. Dann trank er eine Unze Gin mit der doppelten Menge Wasser.
    |256| Er sah Nicole im Garten stehen. Er würde sich bald wieder mit ihr auseinandersetzen müssen, und fühlte sich bleiern bei dieser Aussicht. Vor ihr musste er das Gesicht wahren   – heute, morgen, nächste Woche und nächstes Jahr.
    In Paris hatte er sie während ihres leichten Luminol-Schlafs die ganze Nacht in den Armen gehalten, und am nächsten Morgen hatte er ihre Verwirrung mit zärtlichen, beschützenden Worten gestoppt, ehe sie sich ganz

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