Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
hätte ihm den Zugang zu einer souveräneren Weltsicht erlaubt, aber er schien sich bewusst den Standpunkt einer niederen Klasse zu eigen gemacht zu haben, was sich schon in der Wahl seiner Ehefrau zeigte.
    Als sie im Hotel eintrafen, unterzog ihn Baby Warren einer kurzen Prüfung, und als sie keine der Merkmale an ihm fand, die sie respektierte, keine der subtilen Höflichkeiten und Tugenden, an denen sich die Angehörigen der privilegierten Klassen erkannten, behandelte sie ihn fortan mit ihren zweitbesten Manieren. Nicole hatte immer noch etwas Angst vor ihm. Dick hingegen mochte ihn ohne Vorbehalt, so wie alle seine Freunde.
    Am Abend glitten sie auf den kleinen Schlitten den Hang hinunter ins Dorf, die in Gstaad demselben Zweck dienen wie in Venedig die Gondeln. Ihr Ziel war ein Hotel mit einer altmodischen, holzgetäfelten, widerhallenden Schweizer Schankstube voller Hirschgeweihe, Uhren und Bierkrüge. Die verschiedenen Gruppen an den langen Tischen verschmolzen zu einer einzigen großen Party. Gegessen wurde Fondue, eine besonders unverdauliche Form von Welsh Rarebit, die mit Glühwein heruntergespült wurde.
    Es war lustig in dem großen Saal; der junge Engländer stellte es fest, und Dick musste zugeben, dass es kein besseres Wort gab. Der würzige Glühwein trug dazu bei, dass er sich entspannte und so tun konnte, als ob die fröhlichen jungen Stimmen, die bunten Kleider, der herumwirbelnde Tabakrauch und die grauhaarigen Männer, die sich ans Klavier setzten und Lieder aus den goldenen Neunzigern |268| grölten, die Welt wieder heil machen könnten. Eine Zeit lang hatte er das Gefühl, auf einem Ozeandampfer zu sein, der bald den Heimathafen erreichen würde. In den Gesichtern aller Mädchen lag dieselbe unschuldige Erwartung und die Frage nach den Möglichkeiten der Nacht. Er sah sich nach dem einen besonderen Mädchen um und hatte den Eindruck, dass sie am Tisch hinter ihm saß   – dann vergaß er sie wieder und erfand stattdessen allerlei Späße, um seine Begleiter zum Lachen zu bringen.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Franz auf Englisch. »Ich kann nur vierundzwanzig Stunden bleiben.«
    »Ich hab mir schon gedacht, dass du etwas von mir willst.«
    »Ich habe einen Plan, der ist so   … wunderbar!« Seine Hand fiel auf Richards Knie. »Wenn das klappt, sind wir beide gemachte Männer.«
    »Und?«
    »Dick   – wir können eine Klinik kaufen. Die Klinik des alten Braun am Zuger See. Das ist abgesehen von ein paar Kleinigkeiten ein ganz moderner Betrieb. Er ist krank und will nach Hause nach Österreich, wahrscheinlich zum Sterben. Das ist eine tolle Gelegenheit. Du und ich   – zusammen sind wir unschlagbar! Sag jetzt noch nichts, bis ich dir alles erzählt habe.«
    Ein gelbes Glitzern in ihren Augen verriet ihm, dass Baby zuhörte.
    »Wir müssen das zusammen in Angriff nehmen. Du wärst gar nicht so eingebunden   – aber du hättest eine Basis für deine Forschungen, ein Labor, einen Ruhepol. Du brauchtest nur das halbe Jahr anwesend zu sein, solange das Wetter schön ist. Im Winter könntest du dann nach Frankreich oder Amerika gehen und mit frischem klinischem |269| Material deine Aufsätze schreiben.« Franz senkte die Stimme. »Und für den Fall in deiner Familie stünde die Ruhe und Regelmäßigkeit einer Klinik jederzeit zur Verfügung   –«
    Dicks Gesichtsausdruck ermutigte ihn nicht, dieses Argument auszubauen, und so ließ er es hastig fallen, noch ehe seine Lippen den Punkt dahinter gesetzt hatten. »Wir könnten Partner sein. Ich wäre der Geschäftsführer, und du der theoretische Kopf, der brillante Chefarzt und so weiter. Ich kenne mich   – ich weiß, dass ich kein Genie habe, aber du schon. Aber auf meine Weise bin ich sehr tüchtig. Ich kenne die modernsten klinischen Methoden. Die alte Klinik habe ich oft wochenlang allein geleitet. Der Professor sagt, es ist ein ausgezeichneter Plan und rät mir, sofort zuzugreifen. Er sagt, er würde ewig leben   – und bis zur letzten Minute arbeiten.«
    Dick versuchte sich die Aussicht bildhaft vorzustellen, gewissermaßen als vorläufige Übung zur Urteilsbildung. »Wie sieht das Ganze denn finanziell aus?«, fragte er.
    Franz schob sein Kinn, die Augenbrauen, die flüchtigen Falten auf seiner Stirn, die Hände, Ellenbogen und Schultern hoch; spannte die Muskeln, bis sie die Hosen ausbeulten, stieß sein Herz in die Kehle und seine Stimme bis unter den Gaumen: »Das genau ist der Punkt! Geld!«, sagte er kläglich. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher