Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
des Begehrens nicht zu leugnen.
Und auch nicht seine rohe Intensität.
Die Limousine bog vom Highway ab und fuhr auf die vertraute, gepflegte Schotterpiste, die zum Grundstück führte.
Sie war keine Nonne. Man wurde nicht vierundzwanzig, ohne das Beben des Herzens und die schwüle Hitze der Erregung kennenzulernen. Doch so etwas hatte sie nie zuvor erlebt. Noch eine halbe Stunde nach Verlassen des Restaurants, als das beinahe unerträglich gierige Verlangen bereits abgeklungen war, ließen sich die Empfindungen, die ihren Körper immer noch peinigten, nicht mit so schwachen Worten wie »beben« und »Erregung« beschreiben.
Explodieren, erschauern, verheeren, verbrennen.
Das kam der Sache schon näher, und doch konnten auch sie nicht zur Gänze ausdrücken, was sie fühlte.
Sonderbar.
Und beschämend.
Jahre des Studiums, stundenlange Lektionen, wie sie ihren Geist kontrollieren konnte – alles zunichte in einem einzigen Augenblick. Alles zerstoben im Wind durch eine einzige flüchtige Berührung. Ihre Reaktion auf Murdoch war die einer Novizin gewesen, einer unerfahrenen Dienerin, nicht die erleuchtete Antwort einer Meisterin. Und doch behauptete sie von sich, eine Meisterin zu sein. Als direkte Nachfahrin von Abe no Seimei, dem verehrungswürdigsten Onmyōji-Zauberer aller Zeiten, war sie die Einzige, die eine Gruppe mystischer Krieger gegen den gegenwärtigen Wahnsinn in der Welt in den Kampf führen konnte.
»Selbst ein Meister kann ins Stolpern geraten«, sagte Sora leise.
Ihr Blick flog empor, um dem seinen zu begegnen.
Ryuji schnaubte. »Sie wollen doch wohl nicht andeuten, dass Murdoch so etwas wie ein Meister ist, oder?«
Der alte Mann zuckte die Achseln. »Alles an ihm flüsterte
Krieger.
«
»Flüsterte? Ha. Nichts an dem Mann flüsterte.«
Sora neigte den Kopf. »Bist du auch dieser Meinung, Kiyoko-san?«
Sie rief sich ihren ersten Eindruck vom Überwachungsmonitor im Büro ins Gedächtnis und schüttelte den Kopf. »Seine Geschicklichkeit spricht eine deutlichere Sprache als sein Gebrüll. Er bewegt sich mit der Geschmeidigkeit und dem Bewusstsein eines Elitesoldaten und nicht wie ein einfacher Antiquitätenhändler.«
Ryuji runzelte die Stirn. »Vielleicht sollten Sie bei Ihrer gemeinsamen Bekannten seine Referenzen überprüfen.«
»Nein.« Lena anzurufen stand nicht zur Debatte. Es war schon mehr als der Besuch eines faszinierenden Abgesandten nötig, um dieser Frau zu vergeben, dass sie sie in eine Geschichte hineingezogen hatte, die jedem einzelnen ihrer Prinzipien zuwiderlief. Jedem Wert, den Tatsu Ashida ihr eingeimpft hatte.
Kiyoko blinzelte rasch, überwältigt von einer plötzlichen Erinnerung.
Die Lücke, die ihr Vater hinterlassen hatte, war groß. Nach dem Tod ihrer Mutter war er zwanzig Jahre lang ihr Leitstern gewesen. Stets geduldig und zielstrebig, hatte er sie im Weg des Onmyōji unterwiesen – ihr die geheimnisvollen Zauber der Ahnen enthüllt, sie im Schwertkampf ausgebildet und all sein Wissen über die Bekämpfung des Bösen mit ihr geteilt. Sein Glaube an ihre Bestimmung war unerschütterlich gewesen, aber nun, da er fort war, strahlte das Licht weniger hell.
Das majestätisch geschwungene Steintor schälte sich aus dem Dunkel, und die Limousine kam vor dem
torii
zum Stehen. Kiyoko musste beim Anblick der beiden großen
niou
-Statuen lächeln, die über die Zufahrt wachten. Die vertrauten, finsteren Steinfiguren ähnelten Murdoch.
»Die einzige Möglichkeit herauszufinden, warum Murdoch-san in Japan ist, besteht darin, ihn selbst zu fragen«, sagte sie, während sie ihrem flatternden Pulsschlag mit kontrollierter Atemtechnik beizukommen versuchte. Würde er bei einem zweiten Zusammentreffen noch immer diese Anziehungskraft auf sie ausüben?
Ryuji tat seine Meinung dazu mit einem stummen, wütenden Blick kund.
»Ich glaube, dass Mr Murdoch mehr zu bieten hat als das, was ins Auge springt«, äußerte Sora, als sie aus dem Wagen stiegen.
»Mag sein«, räumte Ryuji ein. »Aber er ist gefährlich.« Er wandte sich Kiyoko zu. »Kommen Sie morgen in die Stadt? Ich würde es verstehen, wenn diese unglückliche Situation Sie von der Fahrt abhalten würde, aber wir haben heute großartige Fortschritte mit dem Produktionsbericht gemacht, und ich würde die Arbeit daran gern fortsetzen.«
Sie lächelte. »Ja, ich werde da sein. Sie sind sehr großzügig mit Ihrer Zeit, Watanabe-san. Ich weiß Ihre Bemühungen, meine Befürchtungen um den Zustand der Firma zu
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