Zärtliche Wildnis
viktorianischer Demoiselle und Frauenrechtlerin.«
Hitzig bestritt sie jegliche Neigung dieser Art, und sie fielen einander wieder glücklich in die Arme.
Es war eine herrliche Jahreszeit, das Frühjahr war früh gekommen, die Wiesen leuchteten in sattem Grün, warmen Tagen folgten kühle Nächte, und dank der Erholung der Woll- und Lammpreise herrschte eine Atmosphäre allgemeinen Wohlbefindens.
»Alle sind so glücklich«, sagte Liz zu Kay, und ihre Freundin nickte zustimmend. Immer, wenn sie zusammen waren, schmiedeten sie jetzt Pläne. »Warum eigentlich keine Doppelhochzeit?« fragte Kay in plötzlicher Erleuchtung, und Liz fügte hinzu: »Eine richtige Windythorpe Hochzeit, an der nur wir selbst und unsere nächsten Freunde teilnehmen. Und als Brautführer nehmen wir zwei Männer aus dem Tal. Ich habe keine Familie, und du hast in Neuseeland nur deine Schwester. Sie muß unbedingt kommen und bei mir wohnen.«
»Ja, natürlich muß sie kommen, und ihr Mann auch, aber sie werden in einem Gasthaus in Southville absteigen. Die einzige, die bei dir wohnt, bin ich. Zwei Bräute unter einem Dach. Das wird lustig.«
»Aber du siehst bestimmt viel hübscher aus als ich«, meinte Liz bekümmert. »Du wirst mir die ganze Schau stehlen.«
»Unsinn. Dein Andrew wird das bestimmt nicht denken und deine Freunde aus dem Tal auch nicht. — Übrigens, mit den beiden Axels klappt alles wie am Schnürchen. Die beiden kleinen Lernschwestern waren genau das richtige. Paß mal auf, die beiden Jungen werden kommen und auf unser Wohl trinken und sich fragen, was sie je an uns finden konnten. Keine Bitterkeit, nur Erleichterung.«
Es wurde also abgemacht. Am 15. Januar sollte die Doppelhochzeit stattfinden. Liz und Andrew blieben dann noch vierzehn Tage für die Flitterwochen, ehe sie wegen des >verflixten< Kindergartens zurück sein mußten. Nach Schließung des Kindergartens zu den Weihnachtsferien hatten sie noch vier Wochen Zeit, um alle Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen. Liz wollte während dieser Zeit in die Stadt fahren, um Mr. Dawson aufzusuchen und sich eingehend über ihre Vermögenslage aufklären zu lassen. Außerdem wollte sie wieder einmal in die Modegeschäfte gehen, um sich neu einzukleiden. Kay würde ihr diesmal nicht helfen können, doch in den vergangenen Monaten hatte sie viel gelernt und meinte, sie würde auch allein gut zurechtkommen.
Doch dann trat das erste unvorhergesehene Ereignis ein: Jessie sagte nämlich eines Tages zu ihr: »Sie erinnern sich doch, daß das Reisebüro versprochen hatte, zur Entschädigung dafür, daß die letzte Reise ins Wasser fiel, extra eine billige Fahrt zum Cape Reingak für uns zu veranstalten. Nun, sie haben sich zwar eine schlechte Zeit ausgesucht, aber wenn wir jetzt nicht zusagen, dann findet die Fahrt nie mehr statt. Vierzehn Tage vor Weihnachten soll es losgehen. Um die Zeit ist noch ein kleiner Bus frei. Für die Ferienzeit danach ist alles schon ausgebucht.«
»Oh, aber so kurz vor Weihnachten.«
»Ja, ich weiß, aber wenn wir dafür vorher und hinterher ein bißchen mehr arbeiten, dann schaffen wir es schon. Aber für Sie ist das ja jetzt, wo die Hochzeit praktisch vor der Tür steht, sowieso nicht mehr von Interesse. Es ist wirklich schade, daß sie uns nicht schon vorher irgendwo einschieben konnten. Ohne Sie wird es bestimmt nicht so schön werden, Liz.«
»Aber ich fahre doch mit. Natürlich fahre ich mit. Ich habe es versprochen. Auf keinen Fall werde ich mir das entgehen lassen. Auf der Fahrt hat doch alles angefangen, und ich habe auch heute noch das Gefühl, daß es Bestimmung war. Wenn ich damals nicht in den Bus gestiegen wäre, dann wäre ich nie nach Windythorpe Valley gekommen, den Kindergarten hätte es nicht gegeben, und ich hätte Andrew nicht kennengelernt. Natürlich fahre ich mit. Sie haben doch nicht im Ernst geglaubt, ich würde brav zu Hause bleiben, während Sie alle vergnügt durch die Gegend kutschieren?«
»Aber haben Sie denn so kurz vor der Hochzeit noch Zeit dafür?«
»Natürlich. Alle Welt scheint sich ja in den Kopf gesetzt zu haben, mir die Vorbereitungen abzunehmen. Sogar die Entscheidung, wo die Feier stattfinden soll, haben Sie mir abgenommen, und ich habe sie mir abnehmen lassen, weil Sie unter den Leuten im Tal meine erste Freundin waren. Nun ja, und das bedeutet, daß ich im Grunde nichts anderes zu tun habe, als mir ein paar neue Kleider zu kaufen; viele nicht, denn ich habe ja nach Mutters Tod groß
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