Zärtliche Wildnis
wieso denn nicht? Ich werde den Kindergarten selbstverständlich weiterführen, bis mein Jahr abgelaufen ist, genau wie es ausgemacht war. Bis dahin sind die Kleinen alt genug, um zur Schule zu gehen, und dann ist das Problem sowieso gelöst.«
»Aber Sie können doch nicht weitermachen, wenn Sie verheiratet sind«, wandte Jessie ein. »Damit wäre Mr. Oldfield sicher nicht einverstanden.«
»Aber warum denn nicht? Dadurch, daß ich heirate, ändert sich doch gar nichts, und morgens hat Andrew viel zuviel zu tun, um mich zu Hause zu brauchen. Heutzutage geben die wenigsten jungen Frauen gleich ihre Stellung auf, und ich werde es auch nicht tun.«
»Aber das ist doch etwas anderes. Die anderen Frauen geben ihre Stellung nicht auf, weil sie das Geld brauchen. Aber Sie nehmen ja gar kein Geld.«
»Ich sehe nicht ein, wieso das eine Rolle spielen sollte. Stellung ist Stellung, ob man nun dabei verdient oder nicht. Ich habe mein Versprechen gegeben, und ich werde es halten.«
Jessie machte ein besorgtes Gesicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Andrew Oldfield damit einverstanden sein würde, daß seine junge Frau sich an fünf Tagen in der Woche morgens ausschließlich ihrem Kindergarten widmete. Doch sie sagte nur: »Nun, mein Kind, das bereden Sie am besten mit Ihrem Verlobten, und wenn er etwas dagegen einzuwenden hat — und Männer haben eigentlich immer etwas einzuwenden —, dann können Sie sich darauf verlassen, daß wir alle dafür Verständnis haben werden. Wir sind Ihnen Dank genug schuldig für alles, was Sie in den letzten Monaten für uns getan haben. Fühlen Sie sich nur ja nicht verpflichtet weiterzumachen, wenn Mr. Oldfield nicht damit einverstanden ist.«
»Aber er wird bestimmt damit einverstanden sein«, versetzte Liz, erstaunt darüber, daß jemand Andrew soviel Verständnislosigkeit zutrauen konnte. Merkwürdige Vorstellungen haben diese Frauen, dachte sie bei sich selbst. So altmodisch. Sie wissen vermutlich gar nicht, daß in der Stadt neun von zehn Frauen auch nach der Heirat ihrer Arbeit nachgehen. Warum sollte ich das nicht auch tun?
Selbst nach diesem Gespräch hatte sie es noch gar nicht eilig, diese Frage mit Andrew zu erörtern, so sicher war sie, daß er mit ihr einer Meinung sein würde. Als sie das nächste Mal die wichtige Frage des Hochzeitsdatums besprachen, sagte sie: »Ja, ich finde, Januar wäre gut. Ich mag nicht so lange warten.«
Hocherfreut über ihre Ungeduld küßte Andrew sie.
»Wir werden keinen Tag länger warten als nötig«, sagte er. »Gleich nach Neujahr wird geheiratet.«
»Ja, dann können wir Flitterwochen machen, ehe der Kindergarten wieder anfängt«, meinte Liz zufrieden.
»Der was?«
»Mein Kindergarten. Die Älteren gehen im Februar wieder in die Schule, und dann gibt es für die Mütter mit der Einmacherei und Mosterei so schrecklich viel zu tun, daß sie froh sein werden, die Kleinen eine Zeitlang vom Hals zu haben. Und für mich ist es ja jetzt so einfach und bequem, wo sie direkt zum Wollschuppen kommen.«
Während dieser Erklärung hatte Andrew Zeit gehabt, seine Energien zu sammeln und Atem zu holen.
»Aber liebe Liz«, erwiderte er jetzt mit Entschiedenheit, »du denkst doch nicht im Ernst daran, den Kindergarten weiterzuführen, wenn wir verheiratet sind?«
»Aber warum denn nicht? Man kann doch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag nur verheiratet sein. Außerdem wirst du die meiste Zeit sowieso draußen auf der Farm zu tun haben. Es ist ja nur zweieinhalb Stunden am Tag, fünfmal in der Woche. Das wird mich ein wenig ausfüllen und verhindern, daß ich mich langweile. Die Nachmittage haben wir dann für uns, da kann ich mit dir unterwegs sein und reiten lernen und eine richtige Farmersfrau werden. Das ist doch gewiß ausreichend.«
Er spürte, daß Zorn in ihm aufstieg, doch er versetzte ruhig: »Es dreht sich doch nicht allein um die Zeitfrage. Man muß auch daran denken, was sich gehört, und für eine frischgebackene Ehefrau gehört es sich überhaupt nicht, sich Morgen für Morgen mit einem Haufen ungezogener Kinder abzuplagen.«
»Was redest du da für einen Unsinn! Was heißt hier, es gehöre sich nicht. Du redest genauso wie früher meine Mutter.
Die Mädchen in der Stadt arbeiten nach der Heirat alle weiter. Warum sollte ich das nicht tun?«
»Sie verdienen mit ihrer Arbeit Geld, um das Einkommen des Mannes aufzubessern. Mein Einkommen braucht nicht aufgebessert zu werden, und außerdem verdienst du ja mit deiner Arbeit
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