Zärtlicher Eroberer
Lakaien zuvorkam und sich bückte, um sie aufzuheben.
Als schließlich das Dessert aufgetragen wurde, war Philippa das reinste Nervenbündel. Sobald es die Höflichkeit gestattete, erhob sie sich. „Gentlemen, bitte entschuldigen Sie mich. Ich lasse Sie allein mit Ihrem Portwein und Ihren Zigarren.“
Lucien stand auf und protestierte. „Bitte, bleiben Sie doch, meine Liebe! Sie sind uns herzlich willkommen.“ Seine Bitte war zwar an sie gerichtet, aber er sah Valerian dabei an. Luciens Blick enthielt eine unmissverständliche Botschaft.
Also sind ihm Valerians gelegentliche Berührungen auch aufgefallen, dachte Philippa, und er reagiert ebenso irritiert darauf wie ich, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Sie sah, dass Valerian die stumme Botschaft verstanden hatte, und sie verspürte keine Lust mehr, noch länger im Esszimmer zu verweilen und mitzuerleben, wie sie zu einer Art Beute wurde, um die man sich stritt. „Wirklich, ich würde mich lieber zurückziehen und Sie ungestört lassen.“ Philippa wartete ihre Erlaubnis gar nicht erst ab, sondern verließ nach ihren Worten sogleich das Zimmer.
Aus ihrem Schlafzimmer holte sie sich ein Schultertuch und flüchtete auf eine Veranda, um sich der beruhigenden Wirkung der kalten Nachtluft auszusetzen. Sie brauchte einen klaren Kopf. Valerian war zurück, und sie musste irgendwie mit ihm fertig werden. Sein aufdringliches Verhalten beim Essen ließ ahnen, dass er nicht die geringste Reue verspürte, einem jungen Mädchen einst das Herz gebrochen zu haben, und er war offenbar auch nicht geneigt, die Gerüchte über seinen lasterhaften Lebenswandel im Ausland zu entkräften.
Philippa wollte ganz gewiss nicht kleinlich sein. Was zwischen ihnen vorgefallen war, lag viele Jahre zurück. Sie waren mittlerweile beide erwachsene Menschen, und sie sollte eigentlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen können. Er hatte das offensichtlich getan, seinem Verhalten beim Essen nach zu urteilen. Er glaubte wohl sogar, sie würde seine Avancen begrüßen. Aber er musste sie für sehr dumm halten, wenn er annahm, sie würde seine grausame Lektion von damals nach nur einem kleinen Annäherungsversuch einfach vergessen.
Würde sie das wirklich tun können? Die Vorstellung, ihre Haltung ihm gegenüber eventuell noch einmal zu überdenken, war ziemlich überraschend. In Gedanken hatte sie schon oft ein mögliches Wiedersehen mit ihm durchgespielt. Dabei war sie stets eine distanzierte, hoheitsvoll auftretende Dame gewesen, von so eiskalter Höflichkeit, dass ihm sofort klar wurde, zu spät gekommen zu sein.
Seltsam, dass sie bei diesen Gedankenspielen stets davon ausgegangen war, es wäre ihm nicht gleichgültig, was aus ihr geworden war. Vielleicht lag das daran, dass sie immer noch nicht begreifen konnte, wie innerhalb nur eines Tages aus einem hingebungsvollen, unsterblich verliebten Verehrer ein kaltblütiger Mann wurde, der ihr schonungslos den Laufpass gegeben hatte. Er hatte ihr unbestritten das Herz gebrochen, auch wenn sie ihm die von ihm genannten Gründe nie so ganz abgenommen hatte. Aber nichtsdestotrotz, die Folgen waren die gleichen gewesen.
Valerian trieb sie noch in den Wahnsinn! Vielleicht war es an der Zeit, ernsthafter über Lucien Cantons Angebot nachzudenken. Er hatte ihr noch keinen offiziellen Antrag gemacht, aber nach ihrer langjährigen Beziehung sprach einiges dafür, dass er das bald tun würde. Vielleicht war Valerian der nötige Anstoß für sie, den sie brauchte, um ihr Leben neu zu ordnen.
Lucien war genau der richtige Mann für sie, das hatte er in den Jahren nach Cambournes Tod bewiesen. Er hatte den Überblick über ihre verworrene finanzielle Situation bewahrt, bis Philippa gelernt hatte, sich selbst darum zu kümmern. Er war zu den Minen hinausgeritten und hatte den Cambourne-Betrieb am Laufen gehalten, während sie noch in Trauer war. Außer ihr kannte niemand die weit verzweigten Besitztümer der Cambournes besser als Lucien. Er war tüchtig, sah gut aus, hatte tadellose Manieren, und sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. Er war verlässlich und standhaft, ein treuer Gefährte.
„Philippa.“
Jeder Gedanke an Lucien löste sich in Luft auf. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, sie wusste genau, dass es Valerian war. „Ich bin nach draußen gegangen, um allein zu sein.“
„Dann haben wir etwas gemeinsam. Ich bin auch nach draußen gegangen, um mit dir allein zu sein.“ Valerian stellte sich neben sie ans
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