Zärtlicher Hinterhalt
miterlebt, wie jemand sie einen Bastard nannte. »Mrs. Trenchard ist wahnsinnig«, murmelte er ihr zu. »Niemanden kümmert es, wie sie dich nennt.«
»Mich
kümmert es.« Hannah schaute ihn finster an und wandte sich schließlich ab. »Wahnsinnig oder nicht, mich kümmert es!«
Tante Spring nahm Mrs. Trenchard bei den Händen und schaute ihr in die Augen. »Judy, meine Liebe, haben Sie die vorherigen Earls of Raeburn umgebracht?«
»Spring ist genau im Bilde«, flüsterte Dougald Hannah zu.
»Arme, liebe Tante Spring«, murmelte Hannah. »Dass sie das jetzt durchmachen muss.«
Mrs. Trenchard antwortete ohne Zögern.
»Alle
nicht. Nicht Ihren Bruder und seine Söhne. Aber die anderen beiden, ja. Auch sie wollten schon die Kapelle auseinander nehmen, um sie zu renovieren. Das konnte ich nicht zulassen.«
»Judy, Menschen umzubringen ist sehr, sehr ungezogen«, sagte Tante Spring.
»Ich weiß.« Mrs. Trenchard wirkte ungeduldig ob des vorsichtigen Tadels. »Aber ich war schon verdammt, weil ich Mr. Lawrence und das Baby umgebracht hab. Da machten ein oder zwei andere auch keinen Unterschied mehr.«
Tante Spring drückte fest Mrs. Trenchards Finger. »Judy, Sie müssen mir versprechen, dass Sie nie mehr jemanden töten – auch nicht um meinetwillen.«
Mrs. Trenchard nickte. »Ich versprech es.«
»Und jetzt sollten Sie sich ausruhen, Judy!«
»Ja, das möchte ich.« Mrs. Trenchard bewegte sich mit der schwerfälligen Lethargie eines alten Weibs zur Kapelle hinaus.
Eine verstörte Stille legte sich über die Kirchenbänke.
»Ich hätte mich nicht einmischen sollen«, flüsterte Hannah schließlich.
»Du hattest keine andere Wahl.« Dougald drehte ihr Gesicht zu sich herum. »Ich weigere mich, mich umbringen zu lassen – aus welchen Gründen auch immer.«
Das Kerzenlicht ließ Hannahs Haar wie geschmolzenes Gold erscheinen: Es erfüllte ihre Augen mit einem rätselhaften Glanz und verlieh ihr ein ätherisches Strahlen. Aber Hannah war keine ätherische Himmelsgestalt, und die Probleme zwischen ihnen beiden würden nicht in überirdische Gefilde entweichen.
Sie mussten miteinander reden.
Noch sträubte er sich. Es mochte einfach sein, im Zorn die Wahrheit herauszuschreien – aber ein aufrichtiges Gespräch würde schmerzliche Dinge ans Licht bringen, Geständnisse erfordern und Gefühle erwecken.
Aber wenn er nicht mit ihr sprach, würden sie sich erneut voneinander trennen. Und das ertrug er nicht.
Hannah legte den Kopf schief, die Augen weit vor Angst. »Dougald, was ist los?«
»Wir müssen …«
Seaton rief mit lauter, nervöser Stimme: »Lord Raeburn, sollten wir nicht jemanden rufen, der Mrs. Trenchard in Arrest nimmt?«
Dougald hätte Seaton am liebsten angebrüllt. Heute Abend wenigstens wollte er seine Pflichten als Earl of Raeburn vergessen und ein paar Stunden lang alles alleine mit seiner Frau bereinigen, um ihr dann – falls dies gelang – derartige Vergnügungen zu bereiten, dass sie auf ewig von ihm geprägt war.
»Diese Frau hat zwei Earls of Raeburn umgebracht«, insistierte Seaton. »Sie müssen sie festnehmen lassen.«
Dougald schaute die Tanten an. Miss Minnie, Tante Ethel und Tante Isabel saßen neben Tante Spring, die der Anlass für so viele schreckliche Vorfälle gewesen war und nun um ihre kleine Tochter weinte, ihre verlorene Liebe und eine alte Weggefährtin. Sein Blick wanderte zu Charles, der immer noch die beiden großen Kandelaber hielt und so entgeistert dreinsah, wie nur ein Charles es vermochte. Dann heftete er seinen Blick auf Hannah, der immer noch die Tränen in den Wimpern hingen. Und er dachte an die gebrochene, alte Frau, die sich in diesem Moment die steinernen Stufen zur Küche hinunterschleppte.
Dougald war der Hausherr. Das Baby musste hervorgeholt und in einen ordentlichen Sarg umgebettet werden. Der Kaplan sollte erscheinen, um Tante Spring zur Seite zu stehen. Mrs. Trenchard … bei ihm lag die Entscheidung, was mit Mrs. Trenchard zu geschehen hatte. Er hatte keine Chance, Dougald würde seinen Pflichten heute Nacht nicht entkommen.
Die Unterredung mit Hannah würde warten müssen.
»Charles, folgen Sie bitte Mrs. Trenchard!«
Sein Kammerdiener stellte die Kandelaber ab und eilte aus der Kapelle.
An Seaton gewandt sagte er: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Mrs. Trenchard wird Ihnen nichts antun. Und ich bezweifle, dass sie vor morgen zu fliehen versucht.«
Kapitel 29
Die Beerdigungen waren vorüber, die Trauergäste fort. Alfred
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