Zärtliches Spiel mit dem Feuer
hat dich doch nicht etwa gefunden, oder?"
„Nein. Und ja", antwortete Charlie der Reihe nach, berichtete von den Ereignissen dieser Nacht und fasste sich dabei kurz, weil sie merkte, dass ihre Schwester ihr nicht allzu aufmerksam zuhörte. Sobald sie schwieg, erzählte Beth ihr von ihrem Abend, was Charlie vergleichsweise recht langweilig erschien: Beth hatte mit Tomas getanzt, mit Lady Mowbray geplaudert, mit Tomas getanzt, sich mit Lady Soundso über Mode unterhalten, wieder mit Tomas getanzt, und dann war der Abend zu Ende gewesen. Bei den letzten Worten ihrer Schwester horchte Charlie allerdings auf.
„Tagsüber magst du also Elizabeth sein, doch abends beim Ball der Wulcotts würde ich gern wieder ich selbst sein. Du hast doch nichts dagegen, oder?"
Einen Augenblick lang schwieg Charlie. Schließlich schüttelte sie den Kopf und stand auf. „Nein, selbstverständlich nicht."
„Oh danke, Charlie! Ich wusste ja, dass du mich nicht im Stich lassen würdest."
Charlie nickte, ging zur Verbindungstür und wollte den Raum schon verlassen, drehte sich jedoch noch einmal um. „Unter diesen Umständen solltest du heute Nacht lieber in ,Charles' Raum schlafen."
„Ach ja!" Beth sprang vom Bett, lief fröhlich durchs Zimmer und gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange, bevor sie die Tür mit einem munteren „Gute Nacht" hinter sich schloss.
Charlie schaute eine Weile auf diese Tür und fühlte sich irgendwie betrogen. Sie musste schließlich auch einen Ehemann finden, und zwar noch dringender als Beth. Während Seguin vielleicht nicht eben dem Traum aller Mädchen entsprach, war er wenigstens nicht so gefährlich wie Carland. Und Charlie erkannte, wo die Quelle ihrer Verärgerung lag.
Sie und ihre Schwester sollten sich eigentlich abwechseln damit, das Mädchen zu spielen, damit beide die Gelegenheit hatten, einen Gatten zu finden. Doch es sah so aus, als spielte Charlie die meiste Zeit „Charles", und das überwiegend in Gesellschaft von Radcliffe. Auf diese Weise würde sie nie einen Ehemann finden.
Grimmig straffte sie die Schultern, marschierte in „Charles" Zimmer und erschreckte Beth, die gerade unter die Bettdecke kriechen wollte.
„Charlie, was ist denn? Stimmt etwas nicht?"
„Ich fürchte, ich bin nicht damit einverstanden, dass du morgen Abend Elizabeth spielst. Bis jetzt war der Ball bei den Hardings die einzige Veranstaltung, bei der ich die Schwester war und nach einem Ehekandidaten Ausschau halten konnte, doch dabei hingen Mowbray und Radcliffe wie die Kletten an mir. Wenn wir uns, wie von dir vorgeschlagen, dabei abwechseln wollen, dann sollten wir das auch tun. Morgen Abend bin ich an der Reihe, das Mädchen zu spielen und nach einem geeigneten Gatten zu suchen. Wenn du willst, werde ich morgen tagsüber Charles sein, doch am Abend bin ich Elizabeth!"
Beth wollte sich schon beschweren, besann sich jedoch eines Besseren, weil sie sich schämte. „Es tut mir Leid", sagte sie schließlich. „Du hast Recht. Du bist an der Reihe. Im Übrigen brauchst du dringender einen Gatten als ich, und ich habe ja auch schon ein Auge auf jemanden geworfen. Selbstverständlich musst du morgen Elizabeth sein. Und tagsüber ebenfalls", fügte sie entschlossen hinzu. „Ich werde dir sogar Tom und Radcliffe vom Leibe halten, damit du dir in Ruhe jemanden suchen kannst, an dem du Gefallen findest."
Charlie entspannte sich erleichtert.
„Charlie?" flüsterte Beth, als sie sich abwenden wollte. ..Ja?"
„Das war eine sehr gute Sache, glaube ich."
Fragend blickte Charlie sie an. „Was?"
„Alles." Beth deutete vage im Zimmer umher und fügte hinzu: „Dass wir flüchten mussten, dass wir Radcliffe begegneten, dass wir in London landeten und dass wir uns selbst durchschlagen mussten - nun ja, mit Radcliffes Hilfe selbstverständlich."
Charlie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich richtig verstehe."
„Es verändert uns. Wie du weißt, war ich immer entsetzlich schüchtern. Hier dagegen lerne ich, mit gesellschaftlichen Anlässen besser umzugehen. Und du, du hast dich niemals richtig eingesetzt für das, was du wolltest. Trotzdem hast du es hier bereits zwei Mal getan."
Charlie blickte ihre Schwester ratlos an. „Ich habe mich nie eingesetzt? Was, um alles in der Welt, soll das denn heißen? Ich setzte mich doch immer ein! Ich rebelliere und so weiter. Liebe Güte, Beth, du stellst mich ja als einen richtigen Feigling hin."
„Durchaus nicht. Du zeigst viel Mut. Für andere warst du
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