Zärtliches Spiel mit dem Feuer
Hausmantel. Als sie ein erschrockenes Aufkeuchen hörte, erstarrte sie. Langsam hob sie den Blick zu der Verbindungstür, in der die Zofe mit weit aufgerissenen Augen stand und Charlie beim Ablegen ihrer Verkleidung beobachtete.
„Bessie." Charlie machte einen Schritt auf sie zu, worauf sich die Zofe umdrehte und das Weite suchte. Fluchend sprang Charlie hurtig hinter ihr her in „Elizabeths" Zimmer. Als sie merkte, dass das Mädchen durch die Zimmertür hinauslaufen wollte, machte sie einen Satz aufs Bett und lief darüber hinweg, um als Erste die Tür zu erreichen. Sie warf sich im selben Moment dagegen, da Bessie die Tür aufstoßen wollte. Sofort wich die Zofe zurück und stolperte geschockt und ängstlich rückwärts durch das Schlafzimmer.
„Ist ja alles in Ordnung, Bessie. Ich tue dir ja nichts." Charlie blickte sich rasch im Zimmer um und sah Elizabeths Morgenmantel am Fußende des Betts liegen. Rasch nahm sie ihn auf. Unterdessen entfernte sich Bessie nervös von ihr und suchte offensichtlich nach einem Fluchtweg.
Ungehalten streifte sich Charlie den Morgenmantel über, riss sich das Band aus dem Haar, das es in ihrem Rücken zusammenhielt, zog die Strähnen nach vorn und drehte sich schließlich wieder zu dem Mädchen um.
„Es ist wirklich alles in Ordnung, Bessie", versicherte sie noch einmal. „Siehst du?"
„Nein, ich sehe überhaupt nichts!" rief die Kleine unglücklich, doch sie blieb jetzt stehen und schaute Charlie genauer an. „Was geht hier vor? Wer sind Sie? Der Bruder oder die Schwester?"
„Beides", antwortete Charlie wahrheitsgemäß und lächelte ein wenig gequält. Als sie merkte, dass sie damit das Mädchen noch mehr verwirrte, seufzte sie. „Ich bin Charlie."
Das Mädchen riss die Augen weit auf und schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das sind Sie nicht. Sie haben Brüste. Die habe ich genau gesehen!"
„Natürlich, weil ich ja auch eine Frau bin. Charlie ist die Kurzform von Charlotte. Ich habe einen Jungen nur gespielt, weil ..." Sie unterbrach sich und machte einen Schritt zur Seite, um den Weg zur Tür zu verstellen, denn Bessie war schon wieder dabei, sich in diese Richtung zu bewegen. Das Mädchen blieb sofort stehen, doch es war ganz offensichtlich, dass es jeden Moment erneut loslaufen würde.
„Bessie, ich bin dieselbe Charlie, die dich aus jenem Zimmer bei Aggie rettete. Meinst du nicht, du schuldetest mir zumindest die Gelegenheit, dir alles zu erklären?"
Die Unsicherheit war Bessie, die jetzt sehnsüchtig zur Tür schaute, dann unglücklich seufzte und schließlich ein wenig nickte, deutlich anzumerken.
„Gut." Charlie schenkte ihr ein sanftes Lächeln und deutete dann auf das Tischchen beim Fenster. „Komm, setz dich zu mir, damit ich dir die Dinge erklären kann."
Bessie schien erhebliche Zweifel zu haben, setzte sich jedoch in einen der kleinen Sessel und blickte Charlie, die jetzt in dem zweiten Sessel Platz nahm, argwöhnisch an.
„Es ist nämlich so", begann Charlie sofort, und es überraschte sie nicht, dass sich Bessies anfängliches Misstrauen mit Fortschreiten der Erzählung in Erstaunen und besorgtes Mitgefühl verwandelte. Charlie berichtete Bessie alles - nun ja, fast alles. Von dem Erpresser und den weniger schicklichen Momenten mit Lord Radcliffe sagte sie vorsichtshalber nichts. Am Ende ihrer Geschichte betrachtete das Mädchen sie mit aufrichtiger Bewunderung.
„Wie tapfer Sie doch sind! Sich als Junge zu verkleiden und vor Ihrem Onkel davonzulaufen!"
Charlie lächelte gequält und streichelte Bessies Hand. „Nicht tapferer als du, Bessie. Zwar hast du dich nicht als Bursche verkleidet, doch immerhin hast du dich bis ganz in die Hauptstadt durchgeschlagen, um dir dort eine Anstellung zu suchen."
„Oh gewiss. Und was ist dabei herausgekommen? Aggie überlistete mich und brachte mich in ..." Erschrocken unterbrach sie sich. „Sie waren in einem Bordell! Oh Himmel! Eine Lady in einem Bordell!"
„Pst!" machte Charlie, weil sie etwaige Lauscher fürchtete. „Das war Radcliffes Idee. Er meinte, ich sei zu feminin, und da wollte er aus mir einen richtigen Mann machen." Charlie schmunzelte amüsiert.
„Lord Radcliffe weiß gar nicht, dass Sie eine Frau sind?" fragte Bessie bestürzt.
„Nein, das weißt jetzt nur du." Und als spräche sie eher mit sich selbst, fügte sie seufzend hinzu: „Du und der Erpresser."
„Der Erpresser?" kreischte Bessie erschrocken auf.
Rasch erzählte Charlie von den Briefen, welche sie erhalten
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