Zärtlichkeit des Lebens
Wahrheit näher. Meine Sekretärin bei Boumell kicherte fortwährend und hatte gefärbtes Haar.«
Byron gab einen nichtssagenden Laut von sich und riß eine Tür auf. Der dahinterliegende Raum vermittelte einem einen ganz anderen Eindruck – den von Unordnung, Durcheinander und Tabakrauch. Sarah entspannte sich.
»Ah, Byron, da bringst du sie also.«
Ein rothaariger Mann mit kräftigen Armen, einem enormen Bauch und gerötetem Gesicht kam auf sie zu. Er trug ein kariertes Hemd, verknitterte Hosen und heruntergelatschte Gesundheitsschuhe. Sieht eigentlich aus wie ein Heinzelmännchen, dachte Sarah, das sich aufs Gewichtheben verlegt hat. Er war ihr auf den ersten Blick sympathisch, und einen Moment lang vergaß Sarah den begnadeten Architekten hinter dem koboldhaften Grinsen.
»Sarah Lancaster«, setzte Byron an. »John Cassidy, unser Chefarchitekt.«
»Guten Tag, Mr. Cassidy.« Sarah lächelte ein Gesicht an, das so rund, haarlos und pausbäckig wie das eines Botticelli-Engels war. Tabakduft schien es zu umwabern.
Sein Händedruck erwies sich als warm und fest.
»Willkommen bei uns, Sarah Lancaster. Wie gefällt Ihnen unsere Abteilung?«
»Dies hier ist die erste Station auf unserem Rundgang«, erwiderte Sarah. »Aber bisher gefällt sie mir.«
Ihr offener Blick machte Cassidy ein wenig verlegen. Nach einem Räuspern fuhr er fort. »Freut mich, das zu hören. Man wird Ihnen sagen, daß ich streng bin, und das mit Recht. Bei Haladay wird nur Erstklassiges gebaut. Manchmal muß ich das für euch durchkämpfen.« Cassidy winkte Byron mit onkelhafter Zuneigung zu. Sarah war überrascht zu sehen, wie ein Lächeln Byrons Gesicht erwärmte. »Der hier ist schließlich ein Ingenieur.«
Sarah spürte die unbefangene Zuneigung zwischen den beiden Männern. Das verdutzte sie, da es zwischen ihnen doch so viele grundlegende Unterschiede zu geben schien. »Ich werde mich bemühen, ihm daraus keinen Vorwurf zu machen«, meinte sie.
Glucksend stimmte Cassidy ihr zu, drehte sich um und ging schwerfällig zu seinem Reißbrett. »Kommen Sie«, lud er sie ein.
»Schauen Sie sich das an. Das ist mein Lieblingskind. Man kann ja schließlich nicht die ganze Zeit mit Verwaltungsarbeiten zubringen. Da vertrocknet man völlig.« Er setzte sich unter einigem Geseufze und Geächze auf einen hohen Hocker. Sarah schaute ihm über die Schulter. Der Entwurf war nur zur Hälfte fertiggestellt, strahlte aber schon jetzt Einfachheit, Stabilität und Dauerhaftigkeit aus.
»Haben Sie auch die Querschnitte?«
Cassidy lachte dröhnend. »Gleich ins Auge gefallen, nicht?«
Er blinzelte Byron über die Schulter zu. Sarah war zu sehr mit dem Entwurf beschäftigt, als daß sie das gemerkt hätte.
»Ist Ihnen J. T. Orwell ein Begriff?« fragte Byron, als er zu ihnen schlenderte.
»Verlagswesen«, brummte Sarah und konzentrierte sich weiter auf Cassidys Entwurf. Mit diesem einen Wort umschrieb sie ein Zweihundert-Millionen-Dollar-Verlagsimperium.
Byron beobachtete sie. Sie war von dem Entwurf ganz gefesselt. Er konnte ihren Eifer geradezu fühlen.
Cassidy ließ den Blick über den Mann und die Frau wandern und sah dann seinen Entwurf an. »Das ist das J.-T.-Orwell-Gedenkhospital.« Nachdenklich kratzte er sich unter dem Kinn.
»Das Grundstück befindet sich in der Heimatstadt des Verlegers in Illinois. Sie müssen sich mit den Aufrißschnitten gedulden, bis Sie sich offiziell zur Arbeit melden.«
»Bestechung zählt als Verbrechen, Mr. Cassidy«, murmelte Sarah. Das eindimensionale Skelett des Gebäudes verlangte nach weiterer Begutachtung, doch sie schaute Cassidy wieder in die Augen.
»Ach ja?« Cassidy lächelte sie offen und über das
ganze
Gesicht an. Ja, mit Sicherheit. Sie war goldrichtig.
Sarah dachte noch immer über den Entwurf nach, als sie an Mrs. Fitzwalter vorbei und durch die Glastür gingen. »Ich zeige Ihnen Ihr Büro«, erbot sich Byron und führte sie nach rechts.
»Ja, gerne.« Sarah riß sich von ihren Gedanken los, dann wandte sie ihm das Gesicht zu. Ihr Blick verschärfte sich kurz.
Byron bemerkte, wie zwei feine Linien zwischen ihren Brauen auftauchten. »Er mag Sie sehr gern.«
»Sie klingen überrascht.«
»Das bin ich auch.«
Die schnörkellose Ehrlichkeit dieser Worte erlaubten keinen Kommentar. Dennoch wurmten sie ihn. Während sie den Korridor entlanggingen, öffnete sich eine Tür, und ein Mann, der das Traumbild jeder Frau vom typischen Kalifornier verkörperte, trat heraus – groß, braungebrannt,
Weitere Kostenlose Bücher