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Zärtlichkeit des Lebens

Zärtlichkeit des Lebens

Titel: Zärtlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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denen es ihm gelungen war, einen Arbeitstag und einen Studientag in vierundzwanzig Stunden hineinzuquetschen, hatten ihn zäh gemacht. Er wußte, er war ein bißchen zu ernst, ein bißchen zu penibel. Nun, die Umstände hatten ihn so werden lassen. Verstand und Ehrgeiz können die Hölle sein, wenn sie mit Armut kombiniert sind.
    Byron hatte keine Jugend gehabt. Bereits mit sechzehn war er in die Erwachsenenwelt vorgedrungen, ohne zurückzuschauen.
    Seine erste Frau hatte er gehabt, als sich seine Altersgenossen noch auf Autorücksitzen mit BH-Verschlüssen herumplagten.
    Maxwell Haladay hatte Byron die Dinge gegeben, die er brauchte, um seine Ziele zu erreichen: Geld, eine Chance und das Wichtigste: Bildung. Er hatte auf den Jungen gesetzt und zugesehen, wie sich seine Investition in dem Mann bezahlt machte. Vom Anfang ihrer Beziehung an hatten sie einander als Erwachsene behandelt. Und doch hatte der eine nie einen Sohn gehabt, der andere keinen Vater. Sie erfüllten Bedürfnisse füreinander, von deren Existenz keiner der beiden etwas ahnte.
    Während ihrer fünfzehn Jahre währenden Freundschaft hatte Byron Gefallen an gutem Wein, französischen Malern und schönen Frauen entwickelt. Jetzt befand er sich in einer Stellung, die leicht kleinliche Eifersüchteleien wecken konnte; doch sein Aufstieg vom Arbeiter an die Unternehmensspitze hatte ihn zum Helden des kleinen Mannes gemacht, während sein profundes Fachwissen ihm die Achtung der anderen Ingenieure einbrachte. Mit Vorstandsmitgliedern und Bankpräsidenten stand er auf vertrautem Fuß, aber im Hinterkopf klangen in ihm noch die Jahre der Armut nach – wie er aufgewachsen war in dem Bewußtsein, weder Weißer noch Indianer zu sein. Selbst im 20. Jahrhundert kann der Begriff ›Halbblut‹ noch Narben hinterlassen. Er hatte früh gelernt, daß er seine Gefühle unter Kontrolle halten mußte, wenn er in Haladays Welt Erfolg haben wollte. Sein Zorn war, wenn er erst einmal ausbrach, brutal und gefährlich. Er hielt ihn fest am Würgehalsband.
    Sarah hätte dieses Band beinahe zerrissen. Er dachte ungern an diesen Zwischenfall, weil er nicht gern zugab, daß sie mehr als einmal den Panzer seiner Selbstkontrolle durchbrochen hatte.
    Vielleicht hatte er eben deshalb so schnell die Beherrschung verloren. Er wußte, er hatte sie sehr erschreckt. Dennoch war ihre Reaktion nicht die gewesen, die er von einer Frau erwartet hätte. Sie war nicht davongelaufen, hatte nicht geweint oder gekatzbuckelt, sondern hatte ihn mit angsterfüllten Augen angestarrt. Er achtete sie dafür und für ihren schnellen Widerstand.
    Als er mit dem Aufzug zu seiner Wohnung ganz oben im Haladay-Gebäude fuhr, ging ihm Sarah nicht aus dem Sinn.
    Obwohl seither schon Wochen vergangen waren, erinnerte er sich, wie ihr Mund sich anfühlte und wie er schmeckte, erinnerte er sich an die Weichheit ihres Körpers, an den Geruch, der sie umgab. Frauen war der Zugang zu Byrons Gedankenwelt, sofern nicht ausdrücklich eingeladen, nicht gestattet. Sarah entpuppte sich nun als ungebetener Eindringling.
    Byron betrat seine Wohnung und ging sofort ins Schlafzimmer. Trotz seiner erlesenen Einrichtung war es gemütlich genug, um einige der Frauen, die in dem breitgestreiften großen Bett geschlafen hatten, zu überraschen.
    Die Wände waren in einem satten Blauton gestrichen; Bambusrollos erlaubten der Sonne, durch hoch wuchernde Ficus-Bäume zu dringen. Den auf Hochglanz polierten Holzfußboden bedeckte ein langer Navajo-Läufer.
    Byron zog sich schnell aus, wobei er seine Kleider achtlos auf einen Stuhl warf, ehe er ins angrenzende Bad ging. Eine Viertelstunde lang stand er unter der Dusche, fing erst mit einem brühheißen Strahl an und ließ das Wasser allmählich eiskalt werden. Seine Muskeln entspannten sich, und zum erstenmal seit zwölf Stunden auch seine Gedanken. Nach dem Abtrocknen zog er einen kurzen Seidenkimono an und ging zurück ins Schlafzimmer.
    Dort lag Gloria Woodloe-Winfield nackt auf dem Bauch, die Beine in der Luft gekreuzt. Byron zögerte lediglich einen Herzschlag lang, dann knotete er sich den Bademantel zu.
    »Guten Abend, Gloria. Wie kommst du hier herauf?«
    »Ich habe den Portier unten gesagt, daß du mich erwartest. Er hat uns zusammen gesehen.« Gloria stützte den Kopf auf die Hände, wobei sich ihr Haar über die Schultern ergoß. »Ich wollte dich überraschen.«
    »Was dir auch gelungen ist.« Byron ging zu der eingebauten Bar in einer Zimmerecke und goß sich einen Brandy

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