Zärtlichkeit des Lebens
ihm?«
Lafitte verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß.
Stirnrunzelnd zupfte er sich am linken Ohrläppchen, was Sarah schon früher an ihm beobachtet hatte, wenn er nachdachte.
Normalerweise hätte seine schwerfällige, vorsichtige Art sie erheitert.
»Er ist sehr gescheit«, meinte Lafitte endlich, »versteht was vom Bau – und ist sachlich.« Er schaute Sarah wieder an, weil er merkte, daß sie seinen Blick suchte. »Manche Menschen lassen sich von ihren Gefühlen beherrschen, zu denen gehört er nicht.«
»Ja«, stimmte Sarah nach einer kurzen Pause zu. »Sie haben wohl recht. Aber warum ist er hier? Warum bleibt er so lange hier auf der Baustelle? Weshalb ist er nicht schon längst wieder nach Phoenix geflogen?«
»Warum fragen Sie ihn nicht selber?«
»Ich weiß nicht.« Sarahs Stimme wurde leiser, während sie den Kopf schüttelte. »Aber ich habe das unbehagliche Gefühl, daß Sie den Grund seiner Anwesenheit kennen und ihn mir nicht verraten.« Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Was meinen Sie, Paul, warum beschleicht mich dieses Gefühl?«
Lafitte zuckte die Schultern, dann schaute er wieder zur Decke. »Da unterhalten Sie sich besser mit Mr. Lloyd.« Er legte die Stirn in Falten. »Warum zum Teufel ist Dupres allein da oben? Es müssen immer zwei Männer an einer Leiste arbeiten.«
»Gehen doch Sie zu ihm rauf«, meinte Sarah verstimmt. »Sie helfen mir sowieso nicht.«
Lafitte drehte sich zu ihr um und lächelte sie an. »Ich mag Sie, Sarah. Ich mag Sie, weil Sie sich von Ihren Gefühlen leiten lassen.«
Sie sah ihn lange und kühl an. »Klettern Sie hinauf«, sagte sie und schaute ihm nach. An seinem Gesichtsausdruck hatte sie bemerkt, daß er ihr auswich.
»Sarah.« Byron sprach sie erst an, als er unmittelbar vor ihr stand. Der Lärm um sie herum hatte einen hohen Pegel erreicht; er hallte von den Wänden und der Decke wider. Sarah fühlte sich in Rock und Blazer, mit hohen Absätzen und dünnen Seidenstrümpfen, ihrem formellen Aufzug zur Sitzung am Vormittag, fehl am Platze. Byron war mit seinen Jeans und seinem karierten Baumwollhemd mehr wie ein Arbeiter denn wie ein Manager angezogen.
»Ich habe heute nicht mit Ihnen auf der Baustelle gerechnet«, meinte sie.
»Ach ja?«
Byron steckte die Daumen in die Vordertaschen der Jeans.
Eine Geste, die nicht gerade zu dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Haladay Enterprises paßte. »Haben Sie etwas dagegen?«
»Nein, nein«, gab sie zurück. »Nur ein paar Fragen. Zuerst einmal – sind Sie hier als Manager, als Ingenieur oder als interessierter Beobachter?«
Byron ließ die Augen nicht von ihr. »Trifft alles zu.«
»Machen Sie sich nicht über mich lustig«, meinte sie barsch, trat einen Schritt näher, streckte die Hand aus und deutete auf Lafitte. »Paul weiß mehr als ich.«
Beiläufig schaute Byron zu Lafitte hinauf, der sich mit seinem Arbeiter oben auf dem Gerüst unterhielt. »Und worüber?«
»Byron, würden Sie es mir sagen, wenn es irgendein Problem gäbe?«
»Wie kommen Sie denn auf die Idee, daß es ein Problem geben könnte, Sarah?«
»Ach, zum Teufel noch mal!« Sie wandte sich ab. Einige Sekunden lang beobachtete sie Lafitte, der sich an der Deckenleiste zu schaffen machte. »Ich wünsche mir verdammt noch mal, daß Sie nach Phoenix fliegen und die Finger von meinen Sachen lassen würden!« rief sie. Wegen des Lärms verstand niemand außer Byron ihre Worte.
Er schaute sie an und antwortete mit ruhiger Stimme. »Ich war mir dessen nicht bewußt, daß ich mich in Ihre Angelegenheiten einmische.«
»Es sieht aber so aus.« Sie wirbelte herum. »Als ob Sie mir über die Schulter schauen würden. Mich muß niemand beaufsichtigen, Byron. Wenn Sie mir nur geradeheraus antworten wollten! Oder wenn Paul mit mir reden würde.«
Aufgebracht warf sie den Kopf in den Nacken und schaute wieder zur Decke – und da stockte ihr einen Moment lang der Herzschlag.
Sie sah, wie eine Leiste losbrach und auf Lafitte fiel. Ihr entsetzter Gesichtsausdruck veranlaßte auch Byron hochzuschauen – nur um zu sehen, wie die Leiste auf Lafittes Schädel krachte und ihn über das Gerüstgeländer schleuderte.
»Um Himmels willen!«
Sarah war schon auf halbem Weg dorthin, als Lafitte und die Leiste auf dem Boden aufschlugen. Der Baustellenkrach überdeckte das Aufprallgeräusch. Langsam verebbte der Lärm, bis schließlich völlige Stille herrschte. Sarah war schon fast am Gerüst, als Byron sie einholte.
Er packte
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