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Zärtlichkeit des Lebens

Zärtlichkeit des Lebens

Titel: Zärtlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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»Ihr Frühstück wird kalt!« rief sie ihm über die Schulter zu.
    Sarah führte Byron auf dem Rundgang durch den Westflügel zur fertiggestellten kleinen Bühne, einem von Sarahs Lieblingsräumen im Kulturzentrum. Sie war nicht groß, entsprach aber etwa einer guten Collegebühne mit relativ wenig Sitzplätzen. Es war eine Experimentierbühne ohne Mätzchen.
    »Die Akustik ist großartig.« Sarahs Stimme hallte das Echo von den Wänden wider; es schien in der Luft zu schweben, als sie auf der Bühne umherging. »LeClaire, der Dramatiker, gehört zum Gründungskommittee. Seiner Ansicht nach werden Schauspieler liebend gern hier auftreten. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten…«, deklamierte Sarah. Dann lachte sie und drehte sich einmal im Kreis.
    »Wie lange waren Sie denn im Ballett?« Angesichts Sarahs verblüffter Miene fuhr er fort: »Niemand bewegt sich so wie Sie ohne Ballettausbildung.«
    Zum erstenmal in ihrem Leben fragte sich Sarah, wie sie sich wohl bewegte. »Ich habe mit sechs angefangen und kann mich nicht erinnern, jemals eine Stunde versäumt zu haben. Meine Mutter wollte, daß ich es beim New York City Ballett probiere, doch dann habe ich in New York Architektur studiert. Das war eine Enttäuschung für sie…
    Nun ja… In diesem Theater gibt es dreihundertfünfzig Sitzplätze…«
    »Sarah.« Sie war überrascht, als er ihr die Hand auf die Schulter legte. Es war die erste völlig sanfte Geste, die sie an ihm erlebte. »Sie sollten sich nicht schuldig fühlen, daß Sie so sind, wie Sie sind.«
    »Ich weiß. Nützt aber nichts. Kommen Sie.« Mit einem freundlichen Lächeln wandte sie sich wieder ab. »Sie sollten sich noch die Garderoben anschauen, ehe wir weitergehen. Das Beste spare ich mir für den Schluß auf.«
    Erst nach mehr als einer Stunde durchquerten sie den überdachten Freigang zum Ostflügel. Tausende von winzigen Lämpchen waren an der Decke angebracht, die des Nachts wie Sterne funkeln sollten.
    »Wenn nicht noch ein gravierendes Problem auftaucht, müßten wir ziemlich genau zum angestrebten Zeitpunkt fertig werden.« Sarah schaute auf die Bauarbeiter hinunter, die unten schufteten. »Jetzt, wo wir das Ersatzteil für die Kühlanlage haben, läuft alles wieder seinen normalen Gang.«
    Sie gingen an einer Gruppe von Malern in einem Flur des Ostflügels vorbei. Sarah rief einen von ihnen beim Namen und fing geschickt den Apfel, den er aus der Tasche zog und ihr zuwarf. Lachend polierte Sarah ihn am Hosenboden. »Er bringt mir immer Obst mit«, erklärte sie Byron.
    »Sie erzählten gerade von einem Ersatzteil.«
    »Ach ja.« Stirnrunzelnd warf sie den Apfel von einer Hand in die andere. »Tja, ein Transmissionsriemen war kaputt. Deshalb brach die Kühlanlage zusammen und hat gestern das Gebäude in einen Brutkasten verwandelt. Ich habe die Leute nach der Mittagspause nach Hause geschickt.« In Erwartung einer kritischen Bemerkung schaute sie zu ihm auf.
    »Und?« fragte er, als er ihren herausfordernden Blick registrierte.
    »Sie gingen heim. Ich fuhr ins Büro zurück und habe sofort mit der Fabrik in Saint-Etienne Kontakt wegen der Ersatzteil-Bestellung aufgenommen. Ein Mann wurde mit dem Flugzeug dorthin geschickt, er holte das Teil und kam wieder her.«
    Stirnrunzelnd hielt Sarah eine Sekunde inne.
    »Dabei habe ich einen Großteil der üblichen Verfahrensweisen außer acht gelassen und den Papierkram übergangen.«
    »Ja, das kann ich mir gut vorstellen«, erwiderte Byron. »Und soll ich Ihnen nun deswegen eine Streicheleinheit verpassen?«
    Sie lachte unvermittelt. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Byron«, sagte sie. »Ich wußte gar nicht, wie sehr ich Sie vermißt hatte.«
    Mit einer scharfen Rechtswendung führte Sarah ihn ins Haupttheater, ging unverzüglich zu den Lichtschaltern und knipste sie allesamt an. Über ihnen gingen ein Dutzend tropfenförmiger Kronleuchter flackernd an. Licht ergoß sich auf den königsblauen Teppich.
    »Sehr eindrucksvoll.« Byron machte ein paar Schritte ins Theater hinein und drehte sich langsam im Kreis. Der elegante Überhang der Balkone mit den anmutig geschwungenen Bögen fiel ihm auf. Er hatte den Entwurf auf Millimeterpapier gesehen; jetzt war er mit dessen Verwirklichung konfrontiert.
    »Versetzt es Sie nicht in Erstaunen, daß wir Menschen so etwas aus Holz und Stein schaffen können?« fragte Sarah, als sie den Blick im Theater umherschweifen ließ. »Ich glaube nicht, daß nur ein altes Gemäuer Geister beherbergen

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