Zärtlichkeit des Lebens
aufstiegen, beunruhigten ihn. Nie hätte er sich träumen lassen, daß sein Verlangen nach ihr so hartnäckig sein könnte. Als sie seufzte, glitt ihr Atem ihm wie ein Hauch über die Brust. Er wollte sie, wollte ihre Begierde entfachen, noch bevor sie ganz wach war, wollte spüren, wie sie sich unter seinen Händen zu regen begann. Doch in seinem Ärger, daß eine lange Liebesnacht nicht genug gewesen war, hielt er sein Verlangen zurück, löste sich von Sarahs Körper und ihrem Haar und stand auf. Sie bewegte sich ein wenig und murmelte seinen Namen, ehe sie wieder ruhig lag. Fluchend ging er ins Bad.
Unter der Dusche dachte Byron darüber nach, daß er mit kunstfertigeren, abenteuerlustigeren, fordernderen Frauen geschlafen hatte – aber noch nie mit einer, die sich so hingegeben hatte. Sarah strahlte eine Offenheit aus, in der Gefahr lauerte, weil sie zu Offenheit als Gegenleistung verführte. Um die Dinge wieder im richtigen Blickwinkel zu sehen, war es seinem Gefühl nach nötig, zu Sarah auf Armeslänge Abstand zu halten. Ohne einen Ton zu sagen, forderte sie gefühlsmäßiges Engagement.
Als er ins Schlafzimmer zurückkam, hatte sich Sarah noch nicht bewegt. Sie lag ruhig auf der Seite, den Kopf nahe der Mulde, die er auf dem Kissen hinterlassen hatte. Im Schlaf wirkte ihr Gesicht friedlich. Auf ihrer bloßen Schulter entdeckte er blaue Flecken, die er selbst ihr beigebracht hatte. Sie riefen ihm ihre Zerbrechlichkeit ins Gedächtnis zurück, die er fortwährend vergaß. Stirnrunzelnd beugte er sich hinunter, um die Decke über sie zu ziehen. Ihre Wimpern flatterten, hoben sich, senkten sich und hoben sich wieder; dann schauten ihre dunkel schimmernden Augen ins Leere. Sie starrte ihn an oder durch ihn hindurch, ohne die geringste Veränderung im Ausdruck. Sarah war nicht sofort hellwach. Allmählich nahmen ihre Augen ihn wahr, dann wurde ihr Blick wärmer, noch bevor das Lächeln ihren Mund erreichte.
»Guten Morgen.« Ihre Stimme klang heiser.
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.«
»Macht nichts.« Sie gähnte unbekümmert. »Ich brauche mindestens eine Stunde, bis ich halbwegs wach bin.« Sie streckte und räkelte sich unter der Bettdecke. »Ich bin darauf geeicht, am Samstag auszuschlafen. Bist du schon lange auf?«
»Nein.« Er schob die Hände in die Bademanteltaschen.
»Wie spät ist es?« Verwirrt suchte sie nach einer Uhr.
»Viertel nach sieben.«
Sie riß die Augen auf. »In der Früh?« Entsetzt wandte sie den Kopf zum Fenster, dann schaute sie Byron an. »Du lieber Himmel.« Sie hielt sich beide Hände vor den Mund und gähnte noch einmal.
»Möchtest du Kaffee, oder willst du den ganzen Tag im Bett liegen?«
Sarah setzte sich auf, wobei sie sich nicht die Mühe machte, die Decke hochzuziehen. Die Bewegung war völlig natürlich und unbefangen. Ihr Haar ergoß sich über Schultern und Rücken und fiel ihr über die Brust. »Du hast noch keinen gekocht, das würde ich riechen.«
Ihre Haut hob sich cremigweiß gegen die rehbraunen Haarmassen ab. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn. Sofort erwiderte er begierig den Kuß und drückte sie an sich. Sein Hunger war noch immer nicht gestillt. Weil sie das fühlte, überraschte es Sarah, daß er zurückwich.
»Könntest du mir vielleicht einen Bademantel und eine Zahnbürste geben?« Ganz beiläufig fragte sie das und lächelte dabei.
»Vor oder nach dem Kaffee?«
»Vorher.« Er sah, wie sie an der Unterlippe nagte. »Aber vorzugsweise nahezu gleichzeitig, wenn’s geht.«
Byron ging zum Kleiderschrank und holte einen dunkelblauen Bademantel heraus. »Zum Bad geht es da entlang«, ließ er sie wissen, als er ihr den Bademantel reichte. »Auf einem Bord im Arzneimittelschrank findest du eine Zahnbürste.« Er sah ihr zu, wie sie mit der einen Hand ihr Haar packte und es sich auf den Rücken warf, ehe sie den Bademantel zuknotete. »Ich setze inzwischen den Kaffee auf.«
Er benahm sich so höflich, bemerkte sie, als hätten sie zusammen den Fünf-Uhr-Tee getrunken und nicht eine leidenschaftliche Liebesnacht miteinander verbracht. »Danke«, brachte sie endlich heraus. Mit einem Nicken drehte er sich um und ließ sie allein.
Sarah war überrascht, wie sehr seine Distanziertheit sie verletzte. Männer, dachte sie kopfschüttelnd. Wenn sie je einen Mann wirklich gekannt hatte, dann Benedict. Sie ging ins Badezimmer und runzelte die Stirn, als sie sich in dem großen Spiegel über dem Waschtisch mit dem
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