Zahltag
Menschenhandel zu betreiben, aber er bekam keine neuen Informationen. Es war sehr heiß, über dreißig Grad, doch dann sah er von Weitem die weiße Mütze. Mila trug sie, obwohl es viel zu warm dafür war. Sein Magen zog sich zusammen. Anna hatte dieselbe Mütze getragen.
Sie lächelte ihn zaghaft an, als sie vor ihm stand.
„Hallo Mila“, sagte Wolfgang und lächelte ebenfalls.
„Hallo Thomas.“
Wieder setzten sie sich auf die gleiche Bank. Sie schwiegen ein paar Minuten und Thomas wollte die Ruhe nicht unterbrechen. Sie sollte beginnen.
Sie traute sich beinahe nicht, das Unaussprechliche zu sagen. Mila hatte selbst mit allem gerechnet, aber nicht mit dem, was sie erfuhr. Es war unglaublich und beängstigend. Sie schämte sich für ihr Land, sie schämte sich, weil sie nicht geholfen hatte. Zuerst wollte sie nicht herkommen, doch sie war es Thomas schuldig. Dann fing sie an zu berichten.
„Es sind Organhändler. Die Männer die die Kinder holen verkaufen die Organe weiter.“ Dabei sah sie zu Boden. „Anna ist tot.“
Thomas konnte nichts sagen, er konnte nicht mehr atmen. Er beugte sich vornüber und hielt seinen Kopf in den Händen. Er war überrascht und doch auch wieder nicht. Wie oft hatte er sich den Moment vorgestellt , in dem er erfuhr, was geschehen war. Wie oft wollte er Gewissheit. Jetzt war seine Hoffnung begraben. Er wollte einfach nur aufstehen und gehen, wollte abschließen, wollte glauben, dass es zu Ende war.
Doch Mila hielt ihn fest. „Ich weiß, wer es getan hat.“
Thomas war erstaunt und irritiert. Was sollte er davon halten? Was würde es ihm bringen es zu wissen? Doch dann, plötzlich , kam das Gefühl, das ihn seitdem mehr als alles andere beherrschte: Er würde Anna rächen. Er packte Mila an beiden Händen. Sie zuckte zurück. Ihre Augen waren weit geöffnet.
„Wer , Mila? Wer ist es?“
„Das ist nicht so leicht. Es ist eine große Organisation. Aber mein Boss kennt diese Leute.“
„Wer ist dein Boss?“
„Jefim Sorokin. Er ist ein Drogenhändler und hat seine Hände überall im Spiel. Früher hat er für jemanden gearbeitet, die Drecksarbeit gemacht, heute ist er selbst im Geschäft.“ Sie unterbrach kurz, dann sagte sie: „Er hat das schwarze Auto gefahren.“
„Jefim Sorokin .“ Thomas wiederholte den Namen. Er kannte ihn nicht, hatte noch nie von ihm gehört. „Ich werde ihn töten.“ Mila zuckte erneut zusammen. Sie hatte Angst. „Das kannst du nicht. Er ist nicht der Drahtzieher. Wenn du herausfinden willst, was mit deiner Tochter geschehen ist, dann musst du es anders aufziehen. Du kannst ihn nicht einfach töten. Nicht hier in seinem Revier.“
Thomas konnte sich kaum beherrschen , doch sie hatte recht. Wie sollte er an diesen Typen herankommen?
„Lass uns einen Plan machen. Ich helfe dir , Thomas.“ Sie sah ihn an und er fühlte sich schlecht. Er sah ein junges Mädchen, das durch die Hölle ging und für ihn alles riskierte. Sie trug die Mütze wie eine Trophäe. Er umarmte sie fest und sie ließ es zu. Sie waren beide auf der Suche nach etwas. Nach Liebe und Geborgenheit. Mila hatte so etwas selten in ihrem Leben erfahren. Anna gab ihr vor vielen Jahren das Gefühl ein Mensch zu sein und Thomas suchte nach einem Weg zur Bewältigung seiner Trauer. Sie hatten im Moment niemanden außer sich.
Sie gingen noch eine Stunde spazieren. Mila war immer auf der Hut nicht gesehen zu werden. Sie wusste, dass Jefim zu allem fähig war. Ja, sie war etwas Besonderes für ihn. Sie hatte mehr Privilegien als die anderen, doch er würde sie töten für das , was sie Thomas gesagt hatte. Er würde sie sogar dafür töten, dass sie überhaupt mit ihm gesprochen hatte. Es würde für ihn eine ‚neue’ Mila geben. Er würde sie einfach ersetzen, austauschen. So war das in diesem Geschäft. Doch sie lebte darin und akzeptierte die Spielregeln.
Heute — Moldawien, ein Jahr nach der Entführung
Wolfgang war über eine Stunde gelaufen, ehe ein Taxi ihn mitnahm. Er fuhr zurück in die Stadt und checkte in ein billiges Hotel ein. Er musste seine Gedanken sammeln, musste wieder zu sich kommen, das Ganze verdauen. Er legte sich aufs Bett. Wirre Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Er erinnerte sich an die Fahrt, damals nach Moldawien. Seine Frau war nicht mitgekommen, er wollte es alleine durchziehen. Es war Alexander immer schlechter gegangen und er hatte das Angebot von Eduard angenommen. Ohne mit der Wimper zu zucken war er nach Moldawien gereist —
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