Zahltag
„Wo ist er?“
„Kennst du den Mann?“
„Ich glaube ja. Wenn er noch mal kommt, dann sag ihm, ich warte jeden Montag am Wasserturm.“
„Du willst dich mit ihm treffen ?“
„Ich warte seit acht Jahren auf diesen Moment.“ Dann stockte Mila. „Aber Olga … sag niemandem etwas. Ich vertraue dir.“ Olga sagte nichts, sondern umarmte Mila. Es tat gut, ihren Körper zu spüren.
Mila war ganz aufgeregt. Es musste Thomas sein.
Mila wartete die Woche darauf am Wasserturm, doch es tauchte niemand auf. Sie hat te Olga getroffen, doch niemand hatte den Mann wiedergesehen. Olga bekam es mit der Angst zu tun. War Thomas womöglich wieder weg, weil er sie nicht gefunden hatte? Die Woche verging langsam. Die Stunden zogen sich hin, es kamen kaum noch Kunden. Das Bordell lief nicht gut und der Boss lies es an den Mädchen aus. Mila kannte das aber schon seit Jahren, deshalb war es ihr egal. Heute war wieder Montag und sie wartete seit zwei Stunden. Um fünf Uhr musste sie wieder zurück sein und es war schon nach drei.
Thomas wartete ebenfalls schon ein Weilchen. Er beobachtete die junge Frau mit der weißen Mütze. Sie sah ihn nicht, denn er hielt sich bedeckt. Er wusste nicht genau , wie er vorgehen sollte. Es war die erste Spur seit Jahren und er wollte nichts vermasseln. Das Mädchen hatte ihm gesagt, dass Mila hier auf ihn warten würde und sie war hier. Er hätte es beinahe nicht geglaubt. Sie war bleich und klapperdürr, doch sie sah immer noch wie die Mila aus, die ihm und seiner Tochter hinterhergelaufen war. Doch was bedeutete das nun? Er musste mit ihr reden. Langsam ging er auf sie zu. Sie sah ihn sofort und wurde nervös.
„Mila?“
Sie nickte und sah zu Boden.
„Kennst du mich noch?“
Er sah, dass Mila Tränen in den Augen hatte.
„Ja, ich kenne dich.“ Sie presste die Lippen zusammen, damit sie nicht weinte.
„Können wir reden?“
„Ja. Ich bin alleine , habe aber nur noch eine Stunde Zeit. Dann muss ich zurück.“
„Zurück wohin?“, fragte Thomas.
Sie sah ihn seltsam an. „Ins Bordell.“
„Ist Anna auch dort?“
Zuerst sah Mila ihm direkt in die Augen, doch dann sah sie zu Boden. Er wusste, was das bedeutete. Sie schüttelte den Kopf.
Sie setzten sich auf eine Bank. Mila sah sich immer wieder um. Sie durfte nichts riskieren.
„Wissen Sie, wo Anna ist?“
„Nein, das weiß ich nicht.“ Sie sah ihm nicht in die Augen. Ihre Schuld wog zu schwer.
„Du bist damals auch verschwunden. Am selben Tag. Das kann doch kein Zufall sein.“
Mila bekam einen Kloß im Hals. Thomas bemerkte, dass sich das Mädchen zurückzog. Er nahm ihre Hand.
„Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich will nur wissen, was mit meinem Kind passiert ist. Kannst du das nicht verstehen?“
Es kam ein zögerliches Nicken. „Es tut mir leid.“
„Was tut dir leid?“
„Dass ich weggelaufen bin. Dass ich nichts gesagt habe.“
„Was weißt du?“
„Das schwarze Auto hat Anna mitgenommen.“
Thomas konnte sich kaum mehr halten. Mila wusste etwas. Doch er musste ruhig bleiben. Er durfte sie nicht verschrecken. „Welches Auto, Mila?“
„Das Auto , das die Kinder holt.“
Thomas verstand nichts. „Erzähl mir alles. Bitte.“
„Es gibt ein schwarzes Auto , das früher immer gekommen ist. Wenn es da war, sind Kinder verschwunden. Das Auto kam ein- oder zweimal die Woche. Es war ein Fahrer darin. Er war böse. Er lockte die Kinder mit Süßigkeiten oder Geld.“
„Aber Anna wäre nie in ein Auto gestiegen.“
„Sie hat es nicht freiwillig getan. Ich habe es gesehen. Er hat sie gepackt und ins Auto gezogen. Dann war sie weg. Es tut mir so leid. Ich hätte helfen müssen. Aber ich hatte solche Angst.“
Sie weinte und Thomas nahm sie in den Arm. Er wusste, dass sie keine Schuld hatte. Niemand hatte Schuld, außer Thomas selbst. Es tat Mila gut Thomas zu sehen und mit ihm zu reden. Es fiel eine große Last von ihren Schultern.
„Was passiert mit den Kindern?“ Er löste die Umarmung langsam.
„Sie kommen nie wieder zurück.“
„Werden sie verkauft? Oder in Bordelle gebracht?“
„Ich weiß es nicht, wirklich.“ Sie wartete kurz, ehe sie weitersprach. „Aber vielleicht kann ich es herausfinden.“
Er sah sie erstaunt an.
„Ich bin nächste Woche wieder hier. Ich warte auf dich.“ Dann stand Mila auf und ging.
Thomas blieb noch lange auf der Bank sitzen. Er dachte über das nach , was gerade passiert war. Er hatte Mila gefunden, den Menschen, der Anna zum letzten Mal
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