Zahltag
Menge Feinde zu machen. An so einem Fall kann man sich
gründlich die Finger verbrennen.
Schließlich steige ich mit meinen Assistenten in den Streifenwagen.
»Wohin soll’s gehen?«, fragt Vlassopoulos, der am Steuer sitzt.
»In die Klinik. Die Praxis nehmen wir
uns später vor.«
Vlassopoulos stellt die Sirene an, doch statt in die Pireos-Straße
biegt er in die Iera Odos und dann in die Konstinoupoleos. Das war ein kluger
Schachzug, da wir auf diesem Weg den Omonia-Platz umfahren und problemlos auf
den Alexandras-Boulevard gelangen.
Die Ajia-Lavra-Klinik ist ein vierstöckiges Gebäude mit einer
Glasfassade. Am Empfang sitzt eine junge Frau, die uns mit undurchdringlichem
Gesicht taxiert. Offenbar machen wir nicht den Eindruck normaler Patienten,
vielmehr scheint sie in uns unerwünschte Besucher zu sehen. Ich bleibe vor ihr
stehen und verlange nach dem Klinikchef.
»Haben Sie einen Termin?«, fragt sie kühl.
[40] Ich ziehe meinen Dienstausweis hervor und handle mir die
Standardantwort »Einen Moment« ein. Nachdem sie eine Reihe von Telefonaten
geführt hat, schickt sie uns in die vierte Etage hoch. Herrn Seftelis’ Büro
liege am Ende des Korridors, erklärt sie uns noch.
In der vierten Etage müssen sich die Fünfsternekrankenzimmer
befinden, da alle Türen geschlossen sind und absolute Stille herrscht. Nur eine
Krankenschwester, die uns den Korridor entlangwandern sieht, wirft uns einen
neugierigen Seitenblick zu, während sie uns überholt.
Ich öffne, ohne anzuklopfen, die Tür, und wir treten in einen
kleinen Vorraum. Die Sekretärin, die hinter dem Schreibtisch sitzt, sieht aus
wie eine sechzigjährige Exschönheitskönigin. Sie erachtet es nicht für
notwendig, uns zu begrüßen, sondern öffnet bloß die Tür neben ihrem
Schreibtisch, während sie in das zweite Büro »Der Herr Kommissar!« hineinruft.
Ich lasse meine beiden Begleiter im Vorraum warten, damit es nicht
gleich nach einer größeren Polizeiaktion aussieht. Ein Mann im Arztkittel kommt
zur Begrüßung auf mich zu, er ist mittleren Alters und hat schütteres Haar.
Sein Schreibtisch ist, wenn man von seinem Computer absieht, leer. Früher
standen auf den Schreibtischen Blumenvasen, heute Bildschirme.
»Nestor Seftelis«, sagt er und streckt mir seine Hand entgegen.
Er deutet auf einen Sessel auf der anderen Seite des Schreibtischs,
von wo aus ich freie Sicht auf ein Schildchen habe, das seinen Vor- und
Nachnamen nennt und ihn als »Facharzt für Innere Medizin« ausweist. Er wartet,
bis ich [41] Platz genommen habe, und äußert dann die stereotype Frage: »Was kann
ich für Sie tun?«
»Arbeitet der Chirurg Dr. Athanassios Korassidis mit Ihrer Klinik
zusammen?«, frage ich.
»Thanos? Ja, sicher. Seit fünfzehn Jahren schon.« Dann stockt er –
vermutlich wird ihm bewusst, dass mein Besuch nichts Gutes verheißt und ihm
wohl etwas zugestoßen sein muss, denn er fragt beunruhigt: »Ist etwas
passiert?«
»Er ist heute Morgen auf dem antiken Kerameikos-Friedhof tot
aufgefunden worden.«
Zunächst verschlägt es ihm die Sprache, dann entfährt ihm der Ausruf
»Meine Güte!«. Abschließend fügt er die Frage hinzu: »Ein Unfall?«
»Das können wir noch nicht sagen, wir warten noch das Ergebnis der
Obduktion ab. Ich komme zu Ihnen, um mir ein allgemeines Bild zu machen.«
»Fragen Sie nur.« Und dann murmelt er erneut: »Mein Gott, was für
eine Tragödie!«
»Fangen wir beim Familienstand an. War
er verheiratet?«
»Geschieden. Er hat zwei Töchter, die im Ausland studieren.«
»Die Anschrift seiner Praxis kennen wir bereits. Können Sie uns
eventuell seine Privatadresse geben?« Als er seine Vorzimmerdame dazu befragen
will, halte ich ihn zurück. »Schalten Sie nicht Ihre Sekretärin ein. Wir
möchten vorläufig kein Aufsehen erregen.«
»Was ich Ihnen geben kann, ist seine private Telefonnummer. Er
wohnte irgendwo in Ekali.«
Er sucht die Telefonnummer aus einer Computerdatei heraus.
[42] »Was war Korassidis für ein Mensch?«, frage ich ihn.
»Er war ein hervorragender Chirurg.« Mit dieser Antwort legt er das
Hauptaugenmerk auf die ärztliche Qualifikation und nicht auf den Charakter.
»Die Patienten haben bei ihm Schlange gestanden, weil sie seinen Fähigkeiten vertraut
haben.«
»Wie war er denn so im Umgang? Gab es Konflikte oder Differenzen mit
Ihnen oder den anderen Ärzten?«, beharre ich. Insgeheim bin ich Fanis für seine
Andeutungen dankbar.
»Er war uns allen gegenüber
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