Zahltag
vollkommen
korrekt.«
»Hören Sie, Herr Seftelis. Momentan versuchen wir uns ein Bild von
Korassidis zu machen. Wenn sich herausstellt, dass es Selbstmord war, können
Sie sicher sein, dass wir Ihre Angaben nicht verwenden werden. Wenn es sich
hingegen um ein Gewaltverbrechen handelt, kriegen wir ohnehin alle nötigen
Informationen heraus.«
Er blickt mir in die Augen und überlegt. »Er war ein unzugänglicher
Mensch«, meint er schließlich. »Ein hervorragender Arzt mit einem schwierigen
Charakter. Er war nie zufrieden, an allem hatte er etwas auszusetzen. An seinen
Kollegen, am Pflegepersonal, überall. Des Öfteren musste ich Feuerwehr spielen
und als Streitschlichter auftreten. Das werden Ihnen die anderen bestätigen.
Wir hatten uns alle mit ihm arrangiert, weil er eine fachliche Koryphäe war.«
»Vielen Dank. Das reicht uns fürs Erste. Ich möchte Sie bitten, die
Sache für sich zu behalten. Wir wollen kein unnötiges Aufsehen erregen, solange
nicht geklärt ist, ob es sich um Selbstmord oder Mord handelt.«
Wir verabschieden uns mit einem Händedruck, und ich [43] trete wieder
in den Vorraum. Abschließend grüße ich die Sekretärin, die mich neugierig
mustert, und bedeute meinen beiden Assistenten, dass wir aufbrechen.
Nachdem wir im Streifenwagen Platz genommen haben, rufe ich
Dimitriou von der Spurensicherung an. »Habt ihr etwas gefunden?«
»Fehlanzeige, am Tatort gibt es
keinerlei Spuren.«
So hingebungsvoll ich mich auch bemühe, aus Korassidis’ Tod einen
Selbstmord herauszulesen, mit jedem neuen Ermittlungsschritt wird Mord
wahrscheinlicher. Warum sollte er auch seinem Leben auf dem antiken Friedhof
ein Ende setzen? Warum sollte er im Morgengrauen aus Ekali aufbrechen, um sich
ausgerechnet dort umzubringen? Hätte er das nicht genauso gut zu Hause tun
können? Keine einzige Spur lässt auf Selbstmord schließen.
»Und wohin jetzt?«, fragt mich Vlassopoulos.
»Erst mal zur Dienststelle, wir müssen Stavropoulos’ Bericht
abwarten.«
Auf dem Rückweg ins Präsidium sprechen wir alle drei kein Wort.
[44] 6
Stavropoulos’ Anruf erreicht mich, als wir das Altenheim
passieren. »Ich habe gleich mit dem Einstich im Nacken begonnen: Volltreffer«,
erzählt er befriedigt.
»Stammt er von einer Injektionsnadel?«
»Ja. Um welches Gift es sich handelt, kann ich allerdings noch nicht
sagen. Das muss erst noch weiter untersucht werden.«
»Ist das so wichtig?«
»Theoretisch schon. Kann sein, dass es Ihnen hilft herauszufinden,
woher der Täter stammt und in welchen Kreisen er verkehrt.«
»Vielen Dank, dann warte ich so lange.«
Er mag ja ein Querulant sein, aber von seinem Metier versteht er
etwas. Zudem denkt er nicht nur eingleisig als Gerichtsmediziner.
Eigentlich müssten wir jetzt Korassidis’ Praxis einen Besuch
abstatten, doch dabei laufen wir Gefahr, in Demos und Straßensperren
steckenzubleiben. Deshalb beschließen wir, zunächst zu Korassidis’ Privatdomizil
zu fahren, und heben uns die Karneadou-Straße für später auf, in der Hoffnung,
dass sich die Protestversammlungen bis dahin aufgelöst haben.
»Gib der Spurensicherung Bescheid«, weise ich Dermitsakis an.
[45] Korassidis’ Privatadresse liegt in der Myrtias-Straße, einer
Nebenstraße des Thisseos-Boulevards. Da wir eine kleine Weltreise vor uns
haben, überlasse ich die Wahl der Fahrtroute Vlassopoulos und versuche, mich
auf den Fall zu konzentrieren.
Meine Vorahnung hat sich also bestätigt: Ich habe es in der Tat mit
einem Mord zu tun. Noch dazu an einer medizinischen Koryphäe, was bedeutet,
dass ich mich mit Klinikpersonal, Wissenschaftlern und Journalisten
herumschlagen muss. Kurz gesagt, der Fall hat alle Voraussetzungen, den
zuständigen Ermittler von einem Fettnäpfchen ins nächste treten zu lassen. Ich
versuche mir einzureden, dass ich auch diesmal nur meinen Job erledigen werde –
egal, was dabei herauskommt. Aber leicht fällt es mir nicht. All die Jahre war
es für mich beschlossene Sache, dass ich mit dem Dienstgrad des Hauptkommissars
in Rente gehen würde, und es machte mir überhaupt nichts aus. Jetzt, da sich
ein Türchen zu meiner Beförderung aufgetan hat, möchte ich mit aller Kraft
vermeiden, dass es mir gleich wieder vor der Nase zugeschlagen wird. Plötzlich
ertappe ich mich dabei, wie ich beginne, Rücksichten zu nehmen, und langsam verstehe
ich Gikas, der sein ganzes Leben darauf bedacht war, nur ja kein Porzellan zu
zerschlagen.
Ich bemühe mich, diese Erwägungen aus
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