Zahltag
bevor ich in mein Büro hinunterfahre.
Da nach Nikolaos Nassiotis’ Tod niemand das Erbe angetreten hat,
wird der Laden vermutlich verschlossen sein. Daher bitte ich Dimitriou, mir
einen Schlosser zur Ecke Sosopoleos- und Alkamenous-Straße zu schicken.
Dermitsakis schaltet die Sirene ein, fährt auf die Patission-Straße
und anschließend die Kefallinias hinunter, die nach der Acharnon in die
Sosopoleos übergeht. An der dem Laden gegenüberliegenden Ecke stellt er den
Wagen ab.
Nikolaos Nassiotis’ Haus hat zwei Etagen – unten ist das
Ladengeschäft, oben liegen die Wohnräume. Es ist eine jener doppelt genutzten
Immobilien, wie sie bis zum Ende der siebziger Jahre in Mode waren. Der Eingang
zum Geschäft liegt auf der Sosopoleos-, der zur Wohnung auf der
Alkamenous-Straße. Beide Stockwerke machen einen unbewohnten und abweisenden
Eindruck. Die altmodischen Fensterläden der Wohnung sind verriegelt, und der
metallene Rollladen des Geschäfts ist heruntergezogen.
Wir stehen auf dem Gehsteig und warten auf den Schlosser, während
Migranten aus aller Herren Länder an uns vorüberziehen: Russen und
Pontusgriechen aus der ehemaligen [406] Sowjetunion, Rumänen und Bulgaren,
Afghanen und Pakistaner. Griechen hingegen muss man mit der Lupe suchen.
Eine halbe Stunde später taucht der Schlosser auf.
»Wo soll ich anfangen?«, fragt er mich.
»Öffnen Sie zuerst die Wohnungstür.«
Im Handumdrehen hat er uns den Weg freigemacht. Eine Treppe führt in
die obere Etage, daneben erstreckt sich ein kleiner Vorraum, und zwei Stufen
tiefer ist eine geschlossene Tür. Sie bildet die interne Verbindung zwischen
geschäftlichem und privatem Bereich.
»Sehen wir uns zuerst einmal die Wohnung an«, sage ich zum Schlosser
und meinen Assistenten.
Es handelt sich um eine Dreizimmerwohnung mit Wohnzimmer, zwei
Schlafzimmern, Küche und Bad. Nach einem kurzen Rundgang ist klar, dass sie
seit dem Tod ihres Eigentümers leer steht. Sollte Jerassimos Nassiotis
tatsächlich der Sohn von Nikolaos sein, dann wohnte er mit Sicherheit nicht
hier. Dermitsakis betätigt den Lichtschalter, doch es bleibt dunkel.
Nachdem der Schlosser die Verbindungstür geöffnet hat, betreten wir
den Laden. Ich gehe voran und stolpere dabei fast über ein Motorrad.
Dermitsakis tastet zum Schalter neben der Tür, und diesmal geht das Licht an.
»Da ist ja das Motorrad!«, triumphiert er.
Es ist eine Maschine mittleren Hubraums, soweit ich auf den ersten
Blick sehe, und besonders vielversprechend scheint mir der große Gepäckkoffer.
»Es gibt zwei Zähler, doch nur der Laden ist an die Stromversorgung
angeschlossen«, schlussfolgert Koula.
Es handelt sich um einen jener altmodischen [407] Kurzwarenläden, die
alles Lebensnotwendige im Angebot führen: von Zeitungen, Zigaretten und
Papierwaren bis hin zu Snacks und Lebensmitteln. Auf dem Tresen liegen lauter
alte und schmutzige Kleidungsstücke – Jeans, ein Hemd, eine Sportjacke und dazu
ein Basecap. Zweifellos hatte Nassiotis diese Sachen an, als er seine Opfer zu
den Ausgrabungsstätten transportierte. Offenbar hat er den Laden als Zwischenlager
genutzt, wohnt jedoch nicht hier, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Eine
überflüssige Vorsichtsmaßnahme, da ihn keiner der Zuwanderer, die in dieser
Gegend leben, als Sohn von Nikolaos Nassiotis wiedererkannt hätte.
Nachdem wir die Tatwaffen im Laden vergeblich gesucht haben, öffnet
Dermitsakis den Gepäckkoffer des Motorrads. Was da nicht alles zutage kommt:
Pfeil und Bogen, das Injektionsset und ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit!
»Das war’s, der Fall ist gelöst«, erklärt er befriedigt.
»Irgendwo muss auch noch ein Auto herumstehen«, bemerkt Koula. »Mit
dem Motorrad wird er seine Opfer nicht zum Ausgrabungsgelände gebracht haben.«
»Richtig, es ist bestimmt gestohlen. Das werden wir auch noch
finden.«
Ich rufe Dimitriou an, beordere ihn mit seiner Mannschaft
unverzüglich vor Ort und fordere einen Zivilwagen an.
»Und was machen wir jetzt?«, fragt mich Koula.
Ich blicke sie an. Sie ist in Zivil, so wie alle in unserer
Abteilung. »Ich fahre zurück. Sie und Dermitsakis bleiben hier und observieren
den Laden, bis Nassiotis auftaucht. Der Wagen, den Dimitriou mitbringt, ist für
Sie beide gedacht. Wenn Nassiotis wieder wegfährt, folgen Sie ihm und geben mir
sofort Bescheid.«
[408] Die Zeit bis zu Dimitrious Eintreffen nutze ich für einen Anruf
bei Gikas. Ich berichte ihm, dass wir Nassiotis’ Schlupfwinkel
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