Zahltag
ziehen?«, fragt die Dürre.
»Für die Beantwortung dieser Frage ist das Finanzministerium
zuständig.«
Sie werfen sich prüfende Blicke zu, ob noch jemand eine Frage auf
Lager hat. Offensichtlich nicht, da sich – bis auf Sotiropoulos – einer nach
dem anderen verdrückt.
»Jetzt wären wir quitt«, sagt er, als wir nur noch zu zweit sind.
»Wieso quitt?«
»Sie haben nichts von den Schreiben erwähnt und ich nichts davon,
dass der Mörder sie uns zugespielt hat.«
»Ich habe Ihnen gar nichts verheimlicht. Beide Briefe standen frei
zugänglich im Internet. Jedermann, wie gesagt, konnte sie lesen.«
»Kommen Sie, das scheint mir jetzt aber doch etwas zu viel verlangt.
Wer hätte sich zu dem Zeitpunkt vorstellen können, dass der Mörder eine
Urteilsbegründung ins Internet stellt?« Damit hat er nicht ganz unrecht.
»Glauben Sie wirklich, dass er weitermachen wird?«
»Ja.«
»Dann ist er auf dem besten Weg, ein Volksheld zu werden.«
Mit dieser Feststellung macht er seinen Abgang und verlässt mein
Büro.
[167] 21
Die Büros des für das Kerameikos-Gelände zuständigen
Dokumentationszentrums liegen in der Thespidos-Straße in der Plaka. Nachdem ich
den Seat auf einem bewachten Parkplatz in der Navarchou-Navarinou-Straße
zurückgelassen habe, setze ich meinen Weg zu Fuß fort. Die besagte Behörde ist
in einem dreistöckigen neoklassizistischen Bau aus der Zeit der Bayernherrschaft
untergebracht.
Anscheinend wurde mein Besuch angekündigt, da die junge Frau, die
mir die Tür aufmacht, sofort Bescheid weiß: »Kommen Sie, Herr Merenditis
erwartet Sie bereits.«
Merenditis’ Arbeitszimmer befindet sich in einem kleinen Raum, in
dem gerade mal ein Schreibtisch, zwei Besucherstühle und rechts daneben ein
abschließbarer Büroschrank Platz haben. Er steht auf und kommt auf mich zu.
»Welchem Umstand verdanke ich Ihren Besuch, Herr Kommissar?«
»Zunächst einmal wollte ich Ihnen sagen, dass Sie mit Ihrer
Vermutung richtiglagen. Dass der Mörder sein Opfer zum antiken
Kerameikos-Friedhof bringt, hat Symbolcharakter.«
»Ja, ich kenne die Fortsetzung. Mein Kollege aus Elefsina hat mir am
Telefon erzählt, dass ein zweiter Toter im Mysterientempel gefunden wurde.«
»Was Sie noch nicht wissen, ist Folgendes: Beide Opfer sind durch
Schierling ums Leben gekommen.«
[168] »Schierling?«, wiederholt er perplex. »Dann sollten wir uns nicht
nur auf den symbolischen Aspekt beschränken. Wer auch immer der Mörder ist,
eins ist klar: Er lässt die Antike wiederaufleben.«
Das habe ich auch gemerkt. Nur dass ich keine Ahnung habe, warum er
das tut. »Das sind jedoch noch nicht alle Ähnlichkeiten. Der Mörder hat darüber
hinaus ein Video an die Fernsehsender geschickt.«
»Wenn Sie damit die Mahnschreiben meinen – das habe ich
mitbekommen.«
»Der gesendete Wortlaut der Briefe war nur ein kleiner Ausschnitt
aus dem Video. Dort sind noch andere Dinge zu sehen, die ich Ihnen gerne zeigen
würde.«
»Kommen Sie«, sagt er und führt mich in die dritte Etage hoch in
einen vergleichsweise großen Saal mit ein paar Stuhlreihen, in dem früher wohl
Empfänge stattfanden. An der Wand gegenüber ist ein Bildschirm montiert,
darunter befindet sich eine komplette TV -Anlage.
Nachdem wir in der ersten Reihe Platz genommen haben, spielt
Merenditis das Video ab. Am Ende meint er nachdenklich: »Sie haben recht. Bei
der zitierten Textstelle handelt es sich praktisch um eine Fußnote zu den
Morden.«
»Ist Ihnen an dem Video etwas aufgefallen? Ich meine nicht beim
Opfer, sondern bei der Führung über das Gelände.«
»Darüber habe ich mir die ganze Zeit Gedanken gemacht. Sowohl die
Bildaufnahmen als auch der gesprochene Text kommen mir bekannt vor, aber ich
kann sie nicht zuordnen. Mit Sicherheit stammen sie von Werbevideos des
Tourismusministeriums oder aus Materialien des [169] Dokumentationszentrums, die
für touristische Zwecke verwendet werden.« Er hält inne und blickt mich zögernd
an. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, das Video einigen meiner Mitarbeiter zu zeigen?
Vielleicht erinnert sich einer ja etwas genauer.«
»Natürlich nicht«, sage ich, da es meiner Ansicht nach wenig bringt,
das Video unter Verschluss zu halten.
Kurz darauf kehrt Merenditis mit drei seiner Kollegen zurück. Es
sind zwei Männer und die junge Frau, die mich an der Tür empfangen hat. Gerade
als der Film anläuft, läutet mein Handy. Um niemanden zu stören, verlasse ich
den kleinen Saal.
»Herr Kommissar, wir
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