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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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die Heimkehr aus der Fremde. Unabhängig
davon, wie viele Beispiele Dimitrakos auch anführt, am besten bringt ein
kretisches Freiheitslied die Sache auf den Punkt, das im Widerstand gegen die
Junta erneut zu Ehren kam: »Wann wird der Himmel wieder klar?«
    Seit fünf Uhr morgens sitze ich im Wohnzimmer, das
Dimitrakos-Wörterbuch auf den Knien, und mir schwirren Lexikoneinträge und
Zitate aus der antiken und neuzeitlichen Literatur durch den Kopf. Adriani
kommt gegen acht Uhr herein, ihr Blick fällt zuerst auf mich, dann auf den
Dimitrakos. Daraufhin geht sie kommentarlos in die Küche, um Kaffee zu kochen.
    Als ich nach einer weiteren schlaflos verbrachten Nacht ins Büro
komme, reißt mich der Anblick meiner Assistenten aus meiner Lethargie.
Vlassopoulos und Dermitsakis machen lange Gesichter, und Koulas Augen sehen
ganz verquollen aus.
    »Was ist denn los? Wieso diese Trauermienen?«, frage ich. Die
Trübsal, die bei uns zu Hause geblasen wird, reicht mir eigentlich. Auf der
Arbeit kann ich gerne darauf verzichten.
    »Ja haben Sie es denn noch nicht gehört, Herr Kommissar?«, fragt
mich Dermitsakis.
    »Was denn?«
    [158]  »Gestern Abend wurden im Fernsehen die beiden Schreiben des
Mörders gezeigt.«
    »Ich weiß, ich hab’s gesehen.«
    »Der Herr Kriminaldirektor glaubt, dass die Informationen aus dem
Präsidium durchgesickert sind, und will ein Disziplinarverfahren einleiten. Das
hat uns Stella heute Morgen gesagt«, sekundiert Vlassopoulos.
    Diese Stella geht mir von Tag zu Tag mehr auf die Nerven. Es steht
ihr nicht zu, ihren Kollegen ein Disziplinarverfahren anzukündigen. Das ist –
falls es überhaupt dazu kommt – allein Gikas’ Sache.
    »Warum weinen Sie denn?«, frage ich Koula.
    »Aber begreifen Sie nicht? Ich habe Zugang zu allen Computerdaten.
Also wird man mir alles anhängen. Seit meiner Zeit als Sekretärin in der
Chefetage hat man mich auf dem Kieker.«
    »Ach was, niemand wird Ihnen irgendetwas anhängen. Erstens, weil die
Schreiben nicht nur bei uns, sondern auch in der Abteilung für
Computerkriminalität bekannt waren; zweitens, weil Gikas Sie mag und daher
nicht den Löwen zum Fraß vorwerfen wird; und da aller guten Dinge drei sind:
weil die undichte Stelle nicht im Präsidium liegt. Die Schreiben hat der Mörder
selbst an die Sender geschickt. Da bin ich mir ganz sicher. Machen Sie sich
keine Sorgen, alles wird gut.«
    »Wenn er Stathakos von der Antiterrorabteilung die Durchführung des
Disziplinarverfahrens überträgt, verbeißt sich der so lange in den Fall, bis er
nach einem halben Jahr tatsächlich irgendetwas ausgräbt, das er uns vorhalten
kann.«
    [159]  »Er wird nichts finden, weil es kein Disziplinarverfahren geben
wird. Die Frage wird sich im Lauf des Tages klären. Also, Schluss mit den
Trauermienen und zurück an die Arbeit!«
    »Könnte es nicht sein, dass wir den Mörder mit Hilfe der Briefe
finden, die er an Korassidis und Lazaridis geschickt hat?«, frage ich Koula in
der verzweifelten Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch eine andere Lösung
als Lambropoulos parat hat.
    »Nein, Herr Kommissar. Er hat die eine E-Mail von einem
Google-Mail-Konto und die andere vom Internetportal Yahoo aus geschickt. Bei
diesen offen zugänglichen Anbietern kann man unter Verwendung falscher Daten
unendlich viele E-Mail-Kontos eröffnen. Folglich ist es unmöglich, ihn zu
finden, vor allem auch deswegen, weil er seine Post von keiner
Festnetzverbindung aus verschickt.«
    Das Fenster ins Freie, an dem ich rüttelte, bleibt also fest
verschlossen, und andere Lösungen zeichnen sich auch nicht ab. Ein Glück, dass
mich Gikas eine halbe Stunde später zur Besprechungsrunde mit den Ressortleitern
der TV -Nachrichtensendungen zitiert.
    Bevor ich Gikas’ Büro betrete, halte ich kurz vor Stellas
Schreibtisch an. »Es gehört nicht zu Ihrem Aufgabenbereich, Kollegen die
Durchführung eines Disziplinarverfahrens anzukündigen«, sage ich zu ihr. »Das
steht nur Herrn Gikas oder mir zu.«
    »Ich habe ihnen Bescheid gesagt, damit sie vorbereitet sind«,
entgegnet sie mir.
    »Haben Sie es ihnen gesagt, damit sie sich eine Verteidigungsstrategie
zurechtlegen?«
    [160]  »Nein.«
    »Wozu sollte die Warnung dann gut sein?«
    Dann lasse ich sie nach einer passenden Antwort suchen und trete in
Gikas’ Büro. Die vier Nachrichtenchefs – drei arbeiten bei verschiedenen
Privatsendern und einer beim staatlichen Rundfunk – sitzen am Konferenztisch.
Gikas wartet, bis ich Platz genommen habe,

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