Zahltag
schrecklichen Moment mit
meinen Fragen quälen muss«, beginne ich. »Vorläufig geht es nur um das
Nötigste. Alles andere hat Zeit. Können Sie mir sagen, wie Sie ihn gefunden
haben?«
Die Frau bleibt vollkommen teilnahmslos, sie murmelt bloß »O mein
Gott, o mein Gott!« vor sich hin. Der Sohn reagiert gefasster und ist in der
Lage, meine Frage zu beantworten.
»Wir haben Schreie gehört. Eine Frauenstimme hat um Hilfe gerufen.
Wir dachten: vielleicht ein Unfall oder ein Raubüberfall. Wir rannten runter
auf die Straße, und erst da haben wir gesehen, dass es um meinen Vater ging.«
Da die Polizei nicht rechtzeitig vor Ort war, gibt es auch keine
Tatortskizze des Toten auf dem Bürgersteig. »Können Sie sich vielleicht
erinnern, wie er dalag? In welche Richtung zeigte sein Kopf und wohin seine
Beine?«
»Sein Kopf zeigte zum oberen Ende der Straße.«
»Was meinen Sie mit ›oberem Ende‹?«
»Zum Chryssostomou-Smyrnis-Platz hin.«
»Haben Sie ihn genau so, wie er war, ins Krankenhaus gebracht?«
»Ja, wir haben nichts verändert. Meine Mutter wollte den Pfeil aus
der Wunde ziehen, doch ich habe sie davon abgehalten. Ich meinte zu ihr: ›Komm,
lassen wir das lieber die Ärzte machen, damit wir nicht noch mehr Schaden
anrichten.‹«
Während unseres Gesprächs starrt die Frau die ganze Zeit vor sich
hin und murmelt immer wieder: »O mein Gott!«
»Wissen Sie noch, wie spät es war, als Sie ihn gefunden haben?«
[289] Er besinnt sich kurz, bevor er antwortet. »Es muss kurz nach acht
gewesen sein, weil die Abendnachrichten gerade erst begonnen hatten.«
»Kennen Sie die Frau, die Ihren Vater gefunden hat?«
»Ja, sie ist eine Nachbarin, Frau Kavki aus dem Nebenhaus.«
»Eine letzte Frage noch, dann sind wir fertig. Was hat Ihr Vater
beruflich gemacht?«
»Er hatte eine Firma, die Windparks errichtet.«
Bei diesem Stichwort taucht die Frau auf einmal aus ihrer
Verwirrtheit auf und fragt: »Sagen Sie mir eins: Wer will einem Menschen Böses,
dessen Lebenstraum es war, die Umwelt zu schützen und das ökologische Wachstum
zu fördern?«
Ich ziehe es vor, nichts zu erwidern. Andernfalls müsste ich ihr
sagen, dass es uns der nationale Steuereintreiber schon offenbaren wird, der
mit Sicherheit minutiöse Nachforschungen angestellt hat, um die Schmutzwäsche
ihres Gatten ans Licht zu zerren. Lieber wende ich mich noch einmal dem Sohn
zu.
»Könnten Sie mir die Büroadresse Ihres Vaters geben?«
»Kifissias-Straße 31.«
»Vielen Dank«, sage ich zu beiden. »Und entschuldigen Sie, dass ich
Sie in dieser schweren Stunde mit meinen Fragen behelligt habe.«
Der junge Mann hält an der Tür inne. »Werden Sie ihn kriegen?«,
fragt er mich.
»Wir bemühen uns jedenfalls.«
»Wie viele hat er bis jetzt schon auf dem Gewissen?«
»Wer?«, frage ich erstaunt.
[290] »Der nationale Steuereintreiber.«
»Es steht noch gar nicht fest, dass er es war«, erwidere ich,
während ich mir sage: Sieh mal einer an, er hat es tatsächlich geschafft, dass
seine Markenzeichen sofort erkannt werden.
[291] 38
Als ich gegen halb elf Uhr abends einen ersten Blick auf
die Doryleou-Straße werfe, ist mir sofort klar, dass hier ein Mordversuch in
neun von zehn Fällen gelingen muss. Es ist eine Straße, die nur von den
Anwohnern benutzt wird und mehr Einfamilienhäuser als Apartmentwohnungen
aufweist. Sie dürfte auch tagsüber ruhig sein, doch nach acht Uhr abends ist
sie mit Sicherheit kaum noch befahren. Meinem Gefühl nach hat der nationale
Steuereintreiber Sissimatos gleich beim ersten Versuch zur Strecke gebracht.
Doch selbst wenn der Angriff aus irgendeinem Grund misslungen wäre, am nächsten
Abend hätte es auf jeden Fall geklappt.
An beiden Enden ist die Straße durch ein rotes Band abgesperrt.
Dimitrious Truppe ist im Licht der Straßenlaternen zugange, unterstützt von den
Suchscheinwerfern der Polizeibeamten. Sissimatos’ Haus ist hell erleuchtet.
Meine beiden Assistenten stehen mit zwei uniformierten Kollegen und dem
Revierleiter, der höchstpersönlich erschienen ist, neben einem Streifenwagen
der örtlichen Polizeiwache.
»Können Sie mir sagen, was genau passiert ist?«, fragt der
Revierleiter. »Ihre beiden Assistenten konnten mir nämlich keine Einzelheiten
nennen.«
Ich stelle ihm die Sache in groben Zügen dar und erkläre ihm, dass
seine Anwesenheit nicht notwendig sei, da wir den weiteren Ablauf übernähmen.
[292] »Ist jemand im Haus?«, frage ich Dermitsakis, nachdem sich
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