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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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abgeriegelt wird, und die
Spurensicherung verständigen.
    »Ihr müsst mich entschuldigen«, sage ich zu meiner Frau und Sevasti.
»Ich muss leider sofort wieder los, es ist etwas passiert.«
    »Siehst du, Sevasti? So ergeht es dir, wenn du mit einem Polizisten
verheiratet bist.«
    Es gibt drei Arten von Märtyrern auf dieser Welt. Die islamischen
Fundamentalisten, die sich als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen, die
Zeugen Jehovas und Adriani. Sie weiß sehr wohl, dass ich sie nicht jeden Abend
allein herumsitzen lasse und auf Verbrecherjagd gehe. Meine Abende verbringe
ich normalerweise mit ihr, vor der Mattscheibe und vor den Fensterchen der live
zugeschalteten Talkshowgäste. Doch Sevasti schildert sie die Sache anders, um
sich als Märtyrerin darzustellen. Ich halte meinen Zorn im Zaum und versuche es
lieber auf die sanfte Tour. »Aber ich lasse dich doch gar nicht allein, du hast
ja Gesellschaft.«
    Darauf kann sie mir nichts erwidern, und ich mache mich auf den Weg.
    Während ich vom Hilton aus auf den Kifissias-Boulevard fahre,
versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Der nationale Steuereintreiber handelt
auch diesmal konsequent. Er hat angekündigt, er würde weitermorden, bis er sein
Geld bekommt. Und schon haben wir das nächste Opfer. Das [286]  dürfte unseren
Minister, die Leitung des Finanzministeriums, den Premier und die gesamte
Ministerriege dermaßen aufschrecken, dass sie die Provision sogar aus eigener
Tasche hinblättern würden. Das wäre vielleicht auch die einzige saubere Lösung,
denn dringt an die Öffentlichkeit, dass sie eine Überweisung aus dem
Staatssäckel tätigen, wird man ihnen Erpressbarkeit vorhalten. Zahlen sie
nicht, wird man ihnen vorwerfen, sie setzten Menschenleben aufs Spiel.
    Wurde der Mord an Sissimatos durch den nationalen Steuereintreiber
begangen, was mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit anzunehmen ist, dann hat
er seine Taktik zumindest ein Stück weit geändert. Er bleibt zwar beim
Schierlingsgift, lässt es jedoch nicht durch eine Injektion, sondern durch eine
Pfeilspitze in den Körper des Opfers dringen. Obwohl er die Leiche diesmal
nicht auf archäologischem Gelände deponiert hat, bleibt der Bezug zur Antike
durch die Wahl von Pfeil und Bogen erhalten. Nun bleibt abzuwarten, was er
seinem neuesten Opfer anlastet, denn er hat es bestimmt nicht willkürlich
ausgewählt. Der Typ überlässt nichts dem Zufall.
    Ich erreiche Koula auf ihrem Mobiltelefon und ersuche sie, im
Internet zu recherchieren, ob sie irgendein Schreiben des nationalen
Steuereintreibers an Loukas Sissimatos ausfindig machen kann.
    An der Unterführung in der Nähe des Altenheims gerate ich in einen
Stau und verliere weitere zehn Minuten. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass
ich das letzte Opfer nicht mehr lebend antreffen werde.
    Meine Ahnung bestätigt sich, als man mich im KAT zu Dr. Lefkomitros führt. Kaum habe ich meinen Namen [287]  genannt, schüttelt er
nur bedauernd den Kopf. »Wir haben getan, was in unserer Macht stand. Doch
leider war nichts mehr zu machen.«
    Bevor ich weitere Schritte unternehme, rufe ich Gerichtsmediziner
Stavropoulos an und berichte ihm das Neueste. »Wenigstens mal ein Opfer, das
ordentlich und anständig im Krankenhaus gestorben ist«, lautet sein Kommentar.
»Dann muss ich ja nicht hinkommen. Sie können mir die Leiche zusammen mit dem
Pfeil rüberschicken.«
    Mein nächster Anruf gilt Gikas. »Wir haben ein weiteres Opfer«,
falle ich gleich mit der Tür ins Haus.
    Zu meinem großen Erstaunen zeigt er sich gar nicht überrascht. »Das
war ja zu erwarten. Aber so schnell?«, erwidert er.
    »Zum einen will er die Provisionszahlung beschleunigen, zum anderen
will er zeigen, dass er es ernst meint und seine Ankündigungen wahr macht.
Benachrichtigen Sie den Minister?«
    »Selbstverständlich, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Dem
Minister soll klar werden: Wie man sich bettet, so liegt man. Geben Sie mir das
Wichtigste durch, damit ich es weiterleiten kann.«
    Nachdem ich Gikas den Stand der Dinge übermittelt habe, frage ich
Dr. Lefkomitros, ob mit Sissimatos’ Ehefrau und Sohn ein kurzes Gespräch möglich
wäre.
    »Kommt darauf an. Wenn sie ansprechbar sind, schicke ich sie Ihnen
rüber.«
    Fünf Minuten später erscheinen in Dr. Lefkomitros’ Büro eine Frau um
die fünfzig und ein junger Mann, der etwa halb so alt sein muss. In ihren
rotgeweinten Augen stehen noch immer Tränen.
    [288]  »Es tut mir leid, dass ich Sie in diesem

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