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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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auch [295]  nicht mehr gesehen haben
wird. Lieber suche ich direkt denjenigen auf, der das Motorrad beobachtet hat.
    Es handelt sich um einen gewissen Michail Saratsidis, der in einem
zweistöckigen Bau drei Häuser weiter in Richtung Anaxagora-Straße wohnt. Er
steht vor seiner Haustür und lässt die Einsatzkräfte der Polizei nicht aus den
Augen.
    »Herr Saratsidis, Sie sollen ein Motorrad gesehen haben, das auf der
Straße geparkt hatte. Stimmt das?«
    »Ja, es war eine Honda mit einem großen Gepäckkoffer. Sie stand ein
Stück von meinem Haus entfernt. Ich habe sie für das Fahrzeug eines
Kurierfahrers gehalten, weil die immer so große Gepäckkoffer haben. Weiter habe
ich dann nicht darauf geachtet.«
    »Haben Sie auch den Fahrer gesehen?«
    »Nicht wirklich. Er trug einen Helm, daher konnte ich sein Gesicht
nicht erkennen. Als ich an ihm vorüberging, beugte er sich gerade über sein
Motorrad und machte sich daran zu schaffen.«
    Alles war ganz simpel. Er wusste, um welche Uhrzeit Sissimatos nach
Hause kam und welchen Wagen er fuhr. Er lauerte ihm auf, Pfeil und Bogen lagen
griffbereit im Gepäckkoffer des Motorrads. Wäre zufällig auf der
Doryleou-Straße doch einmal mehr los gewesen, wäre er einfach am nächsten Tag
wiedergekommen.
    »Kannten Sie Sissimatos?«, frage ich Saratsidis.
    »Er ist vor fünf Jahren hierhergezogen. Er hat das Haus da drüben
gekauft und ist mit einem schicken Geländewagen herumkutschiert. Jedes
Familienmitglied hat ein eigenes Auto. Dass man mit Ammenmärchen ein Vermögen
machen kann, gibt’s wirklich nur in Griechenland.«
    [296]  »Wie meinen Sie das?«, frage ich perplex.
    »In Griechenland ist grüne Umweltpolitik doch ein Ammenmärchen, Herr
Kommissar.«
    »Meinen Informationen nach hat er sich mit der Errichtung von
Windparks befasst.«
    »Schon richtig, doch jeder Mensch hat eine Vorgeschichte und eine
Vergangenheit.«
    »Was wollen Sie damit andeuten?«
    »Dass der Mann jahrelang Gewerkschaftsfunktionär bei der staatlichen
Elektrizitätsgesellschaft DEI war. Dort habe ich
ihn zufällig kennengelernt, weil die Firma, bei der ich damals arbeitete,
Aufträge von der DEI bekommen hat. Vom
Gewerkschafter wurde er dann zum Parlamentsabgeordneten weggelobt. Als er bei
den letzten Wahlen nicht mehr bestätigt wurde, gründete er diese Windparkfirma.
Können Sie mir sagen, woher ein ehemaliger Gewerkschafter das Kapital nimmt, um
ein solches Unternehmen zu finanzieren?«
    Mir liegt schon der Ratschlag auf der Zunge, er möge sich
vertrauensvoll an den nationalen Steuereintreiber wenden, doch in letzter
Minute schlucke ich die Bemerkung hinunter. Es ist auch nicht nötig, denn ich
bin mir sicher, dass der Täter es der Öffentlichkeit früher oder später ohnehin
auf die Nase binden wird.
    »Erinnern Sie sich vielleicht, wie viel Uhr es war, als Sie das
Motorrad gesehen haben?«
    »Das muss zwischen sieben und halb acht gewesen sein«, schätzt er
schließlich.
    Da wir unser heutiges Pensum erledigt haben und es schon ziemlich
spät ist, bestelle ich meine Assistenten für den nächsten Morgen vor Ort ein,
damit sie auf der Suche nach [297]  möglichen Anhaltspunkten noch einmal eine Runde
drehen. Von einer Durchsuchung seines Büros verspreche ich mir nicht viel, doch
ein Besuch bei der Gewerkschaftsvertretung der DEI könnte sich lohnen.

[298]  39
    Loukas war zwar nicht besonders beliebt«, meint der
Gewerkschaftssekretär der Stromgesellschaft DEI ,
»aber alle – selbst die Betriebsleitung – haben ihn geschätzt und respektiert.
Bei ihm galt: Ein Mann, ein Wort. Was er ankündigte, setzte er auch um. Das hat
ihn vielleicht Sympathien gekostet, doch Vertrauen hat er sich dadurch auf
jeden Fall erworben.«
    »Warum war er unbeliebt?«, frage ich.
    »Er hat es sich nur mit bestimmten Leuten verscherzt.« Er sucht nach
den passenden Worten, um mir die Sachlage zu erklären. »Sehen Sie, egal, was
die breite Masse dazu meint, die Arbeit eines Gewerkschafters ist nicht
einfach. Gewerkschaften legen sich nicht nur mit den Arbeitgebern an, sondern
sehr oft auch mit den Arbeitnehmern. Wenn sich beispielsweise eine Gruppe von
Arbeitnehmern eine Zulage sichert, kommen die anderen und beschweren sich
darüber, dass sie leer ausgegangen sind. Dann erklärt man ihnen die Gründe,
kann sie aber so gut wie nie überzeugen. Loukas war in solchen Dingen
unnachgiebig. Mit unendlicher Geduld versuchte er die Kollegen umzustimmen. Nie
hat er es sich leichtgemacht und – wie viele

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