Zahltag
andere – versprochen, was er nicht
halten konnte. Mit unpopulären Entscheidungen macht man sich eben keine
Freunde.«
Ich hake nicht weiter nach, da ich nicht glaube, dass der [299] Bogenschütze, der Sissimatos auf dem Gewissen hat, aus dem Kreis der
Arbeitnehmer kommt, mit denen er beruflich zu tun hatte.
»Warum hat er das Unternehmen verlassen?«
»Als er die Voraussetzungen für die Mindestrente erreicht hatte,
schlug man ihm vor, als Abgeordneter zu kandidieren. Da er genug von den
Querelen hatte und die Ablehnung der Leute spürte, ließ er sich darauf ein.
Zweimal hat er den Sprung ins Parlament geschafft und uns von dort aus immer
unterstützt. Als er beim dritten Mal nicht wiedergewählt wurde, beschloss er,
sich seinem alten Hobby zuzuwenden.«
»Und was war das?«
»Sein Lebenstraum: Ökostrom. Immer wieder hatte er sich wegen
umweltschädlicher Konzepte mit der Betriebsleitung angelegt.« Er lacht auf.
»Wissen Sie, wie wir ihn genannt haben? Den ›grünen Loukas‹. Doch das störte
ihn überhaupt nicht, er war sogar stolz auf den Spitznamen.«
Obwohl mir der Sekretär alles in rosigen Farben ausmalt, bleibe ich
skeptisch. Lägen die Dinge so, wie er sagt, dann hätte der nationale
Steuereintreiber keinen Grund gehabt, ihn zu liquidieren. Irgendwo muss Sissimatos
eine dunkle Seite gehabt haben, die sich vielleicht nicht unbedingt in seinem
gewerkschaftlichen Engagement geäußert hat. Möglicherweise hatte sie eher mit
seiner Tätigkeit als Parlamentarier oder Unternehmer zu tun. Um doch noch etwas
aus ihm herauszulocken, entschließe ich mich zu einem Frontalangriff.
»Wir haben den Verdacht, dass es sich auch hier um eine Tat des
nationalen Steuereintreibers handelt. Auch diesmal wurde zur Tötung
Schierlingsgift verwendet. Bei den [300] vorangegangenen Morden hat der Mörder
seine Tat jedes Mal begründet. Deshalb wollen wir mehr über Sissimatos’
Vergangenheit wissen. Bestimmt liegt dort ein Motiv für den Mörder verborgen.«
»Also«, erwidert er ratlos, »wenn es so ein Motiv gibt, dann ist es
bestimmt nicht in Loukas’ Engagement bei der Gewerkschaft zu suchen. Was er als
Abgeordneter oder als selbständiger Unternehmer gemacht hat, weiß ich nicht.
Menschlich war er jedenfalls in Ordnung.«
Auch die früheren Opfer schienen menschlich in Ordnung und gut
beleumundete Bürger zu sein, doch der nationale Steuereintreiber hat die
dunklen Kapitel in ihrer Biographie ausfindig gemacht. Ganz bestimmt hat er
auch über Sissimatos etwas Zweifelhaftes in Erfahrung gebracht.
Als ich auf die Stournara-Straße gelange, ist sie bis zur Patission
hinunter gesperrt. Eine ganze Menge junger Leute hat sich dort versammelt, die
Besitzer und Angestellten der anliegenden Läden schließen gerade die Rollläden.
»Was ist los?«, frage ich einen jungen Mann, der den Rollladen
seines Geschäfts bereits zu zwei Dritteln heruntergelassen hat und gerade unten
hineinschlüpfen möchte, um ihn von innen ganz zu schließen.
»Die Studenten haben zu einer Kundgebung aufgerufen. Das heißt, wir
müssen Feierabend machen, ob wir wollen oder nicht«, entgegnet er. »Jeden Tag macht
ein anderes Geschäft hier dicht, die Kundschaft lässt sich wegen der ständigen
Demonstrationen nicht mehr blicken. Und was ist, wenn mich mein Chef morgen auf
die Straße setzt? Dann kann ich mit den Studenten zusammen protestieren, soviel
ich will, einstellen wird er mich nicht mehr.«
[301] Als ich die Kurve zum Kaningos-Platz geschafft habe, stauen sich
vor mir bereits zwanzig Wagen und verstopfen jedes noch vorhandene Schlupfloch.
Eine Viertelstunde später biege ich mit dem Mut der Verzweiflung nach rechts in
die Kapodistriou-Straße ein. Das macht sich bezahlt, denn die Verkehrspolizei
hält die Durchfahrt von der Patission- zur Tritis-Septemvriou-Straße offen.
Nach einer wilden Zickzacktour erreiche ich endlich das Polizeipräsidium. Der
ganze Weg bis zur Dienststelle hat mich eine knappe Stunde gekostet.
Im Büro meiner Assistenten verschnaufe ich kurz, bevor ich Koula
frage, ob sie schon das Schreiben des nationalen Steuereintreibers an
Sissimatos entdeckt hat.
»Nein, nichts, Herr Charitos.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut. Ich habe alles durchforstet. Wenn es einen Brief gäbe,
hätte ich ihn gefunden.«
Das macht mich nun doch ziemlich nervös. Bislang gab der nationale
Steuereintreiber immer eine Art Presseerklärung ab. Selbst nach der
Geldübergabe-Aktion stand sie in null Komma nichts im Netz. Wenn
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