Zander, Judith
machen gar nichts auf der Zunge. Da hat er
mal zu Oma gesagt, sie soll ihm welche mitbringen, Brausetabletten mit
Multivitamin, und Oma hat ihm beim nächsten Mal welche mitgebracht, aber die
haben sie ihm gleich weggenommen, und dann hat er geschrien, und dann haben sie
ihm eine gegeben, aber mit Wasser, die Blödmänner, die ist da im Wasser
dringeschwommen und hat das Schöne im Wasser gemacht und ist immer kleiner
geworden und als er sie rausfischen wollte und sich in den Mund stecken, ist
sie kaputtgegangen, die Blödmänner.
Erna hat auch immer Tabletten
genommen, die waren in dem andern Schrank. Und dann ist immer eine Schwester
gekommen und hat gesagt, »na, wie geht't, Frau Mehling«, und hat die Tabletten
rausgedrückt und in so eine Schachtel gelegt, in verschiedene Fächer, und eins
war für morgens und eins für abends und eins für mittags und noch so eins, das
stand da drauf, und das war so ein durchsichtiger Schiebedeckel. Da hat er
immer bei zugeguckt, wenn er da war, und manchmal, wenn die eine da war, die
er so gerne mochte, dann hat er gefragt, ob er die Tabletten rausdrücken darf,
weil er das so gerne gemacht hat, und sie hat ihm dann gesagt, welche, und sie
hat die dann in die Schachtel gelegt, und sie hatte immer so glitzerige
Fingernägel. Die andre nicht, die war doof.
»Immer schön Oma Erna dadran
erinnern«, hat die Nette gesagt.
»Ist gar nich meine Oma«, hat
er gesagt.
»Trotzdem«, hat sie gesagt und
ihm mit ihren Fingern mit den Glitzerfingernägeln in den Haaren rumgewuschelt.
Aber er hat Oma Erna gar nicht
immer dadran erinnert. Manchmal hat er das vergessen. Manchmal einfach so
nicht. Oma Erna hat das öfter vergessen, und dann gabs immer Meeker von der
Doofen. »Frau Mehling, nee, soll Ihnen dat nu erst wieder schlecht gehen? Ick
kann nix dafür, wenn Ihnen dat wieder schlecht geht!«
Erna hat gar nichts gesagt,
bloß genickt. Bloß »ja ja« hat sie gesagt.
Einmal ist er morgens zu ihr
gekommen und hat gesehn, dass sie gar keine Tabletten genommen hatte. Und da
hat er die Schachtel aufgemacht und selber alle genommen, erst die für morgens,
und dann für mittags und dann das dazwischen und dann abends, bevor das wieder Meeker
gibt. Außerdem wollte er mal wissen, wie die schmecken, besonders die rosanen,
ob die auch so was auf der Zunge machen. Aber die haben gar nicht geschmeckt,
und die andern auch nicht, die weißen waren ganz bitter. So wie die hier. Als
dann die Schwester kam, ging das Erna schlecht, sie konnte gar nicht hochkommen
aus ihrem Sessel und hat immer so mit der Hand auf ihrer Brust hin- und
hergemacht.
»Menschenskind, Frau Mehling«,
hat die Schwester gesagt, die doofe, »warum nehmen Sie denn auch Ihre Tabletten
nich, hab ich Ihnen das nich gesagt, das nutzt doch alles nix, Sie müssen die
doch nehmen, die helfen nämlich nich, wenn die bloß so da rumliegen auf Ihrem
Küchentisch, ist denn das die Möglichkeit, horre nee!«
Und Erna hat bloß gesagt:
»Ach, Schwester, ick vergäät dat joo Ummer.«
Und dann ist die Schwester in
die Küche gekommen, wo er gesessen hat, und hat gesagt: »Wat willst du denn
schon wieder?«, und hat auf die leere Schachtel geguckt, und ihm ging das auch
schlecht, aber er hat sich nichts anmerken lassen, sonst hätte die doch wieder
losgemeckert.
»Die hat die ja doch
genommen!«, hat sie gesagt und mit dem Kopf geschüttelt. »Verkalkt uch langsam
aber sicher.«
Gar nich, hätte er am liebsten
gesagt, gar nich wahr, Erna verkalkt gar nich, aber dann hätte sie das ja
gemerkt. Als sie aus der Küche raus war, ist er nach Hause gerannt, aber er
konnte nicht, er konnte gar nicht schnell rennen, und dann ist er auf der
Treppe gestolpert, und dann hat er da gelegen und alles vollgekotzt. Und Oma
hat ihn ins Bett gebracht. Und am Montag brauchte er nicht in die Werkstatt,
nicht in die Werkstatt zu den Bekloppten.
An dem Tag, als das passiert
ist, als er - na, als er das mit dem Geld - das mit dem Geld gemacht hat, hatte
Erna auch nicht ihre Tabletten genommen. Und er hat gesagt, »Erna, deine Tabletten«.
»Ja ja«, hat sie gesagt. Und
dass sie jetzt zum Friedhof geht. Und ob er nicht mitkommen will. »Nö«, hat er
gesagt, »hast du Pudding?«
»In Isschrank, weitst joo.«
Ja, wusste er. Der Pudding war
im Kühlschrank, das Geld war im Pulloverschrank. Aber wenn das nun weg war.
Vielleicht war das gar nicht mehr da, vielleicht war das jetzt in einem neuen
Versteck, vielleicht war das weg, weggeklaut, die doofe
Weitere Kostenlose Bücher