Zander, Judith
die fünfte Zigarette ist, die man sich in seinem jungen
Leben zuführt. Was bei denen hier sicher nicht der Fall ist, trotzdem verziehen
einige das Gesicht nach jedem Zug wie in Schmerz oder Verachtung, kippen eilig
Bier hinterher oder spucken aus. Husten ohne Hand davor ist auch ziemlich
angesagt. Außer bei Ecki. Das seh ich ja sofort. Schon, wie er Paul eine
Zigarette angeboten hat - mir übrigens nicht, wahrscheinlich sieht man es mir
an, alles - und bei Pauls Kopfschütteln die Augenbrauen hochgezogen und sich
selbst eine in den Mundwinkel gesteckt hat, und zwar so, als würde er das schon
mindestens seit dem Kindergarten machen. Nur, dass es eben genau deshalb nicht
so aussieht. Sondern wie bei unseren schmalbrüstigen Jungs.
Wer wirklich was auf sich
hält, dreht natürlich selber, hantiert umständlich mit Tabak, Papers und
Filtern rum und tut somit ganz nebenbei der Allgemeinheit kund, dass er
durchaus in der Lage ist, eine ordentliche Tüte zu bauen, und dies, na logisch,
auch regelmäßig zur Ausführung bringt. Der Einzige, der nicht so ein Gewese
drum machte, war Tobias. Er rauchte schon, wenn alle anderen noch rumfummelten,
was mir unbewusst wohl immer als eine Metapher erschien für sein ganzes
Tobias-Sein, ein Symbol, in jeglicher Hinsicht. Es machte mich noch schüchterner,
als ich ohnehin bin. Ich glaube, es ist wirklich so rum: dass ich mich genau
deshalb in ihn verliebte. Er war, auf eine alternative Art, einfach mal der
tollste Typ an dieser Schule. Was nun auch wiederum nicht so schwer war. Ich
erwog sogar, seinetwegen mit dem Rauchen anzufangen, ich probierte heimlich
mit Papas Zigaretten, ich kaufte mir Tabak samt Zubehör, was in Anklam schon
ein ziemliches Unterfangen ist, beobachtete Tobias tagelang beim Drehen und
brach mir selbst fast die Finger. Diese Gurken waren kaum anzuzünden. Ich
unterdrückte das Husten und spürte den Schwindel, den Geschmack trachtete ich
so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Mir gefiel nur die Geste, die Pose.
Ich beschloss, dass mir die Pose genügen würde. Es gibt Situationen, in denen
muss man eine rauchen. Zum Beispiel jetzt. Also lege ich den Kopf ein bisschen
zurück und schalte auf Innenmodus, betrachte mich selbst, wie ich den Rauch
einer GI tane ohne Filter ausstoße, direkt in Eckis aufdringliche
Augen.
Von der Zehnten zur Elften
steigt der Raucheranteil besonders unter den Mädchen sprunghaft an. Schon
allein, um ihren Angebeteten aus der Zwölften nun endlich durch Einheit von
Zeit, Ort und Handlung ein Stückchen näher zu kommen. Drehst du mir eine,
Christian, Andy, Matze, Tobias? Ja, klar. Sogar die Nichtraucher stehen auf der
Raucherinsel. Ich auch. Der Herdentrieb und so weiter, Tobias. Seit einiger
Zeit gelingt es mir nicht mehr, mir sein Gesicht vorzustellen, das hat mich zuerst
ganz verrückt gemacht. Jetzt flackert bei jedem Versuch ein anderes dazwischen,
von dem ich mich ablenken lasse. Die Raucherinsel war nach den Sommerferien
ohne ihn wie eine leere Zigarettenhülse, ich sog die Luft ein, besser als gar
nichts. Und schließlich kann man nicht ewig und abgesondert im tiefen Schatten
des Schulgebäudes seine Stulle mummeln, umgeben von Neuntklässlern. Wie froh
man damals war, endlich neunte Klasse zu sein und in dieses Gebäude wechseln zu
können und nicht mehr das Geschrei der Fünftklässler in den Ohren zu haben,
auch wenn man dadurch plötzlich wieder von den Ältesten zu den Jüngsten wurde.
Jetzt wieder die Ältesten. Und dann? Das hört ja nie auf.
Im Moment, in dieser Runde,
komme ich mir viel älter vor, beinahe tantenhaft, ein Klon meiner Mutter. Und
gleichzeitig viel jünger, entsetzlich jung und unerfahren, wie ich hier so zusammengefaltet
hocke und keinen Piep sage. So muss ich auf sie wirken, oder, sowohl als auch.
Wahrscheinlich sagt deshalb keiner was zu mir, flitzen ihre Blicke immer ganz
schnell weg. Sie wissen ja, dass ich zwei, drei, vier Jahre älter bin als sie.
Aber das scheint in ihren Augen kein Vorteil zu sein. Eine Achtzehnjährige
hätte hier nichts, was eine Vierzehnjährige nicht auch hat, inklusive
wechselnder Geschlechtspartner mit Auto. Nur dass die Achtzehnjährige ihre
eigene Sozialkohle abfassen oder sich die Woche über in irgendeiner
Hotelfachfrau-Lehre verdingen kann, bestenfalls. Aber das interessiert doch
keinen, nicht mal die Achtzehnjährige.
»Willst du?« Paul hält mir den
letzten Stummel des Joints vor die Nase.
Ich starre auf seine weißen
Finger und frage mich, wie lange er
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