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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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die
Treppe runter, das Knarren hilft, es klingt wie immer. Unten finden wir Ella im
Dunkeln, sie starrt aus dem schwarzen Fenster.
    »Hört ihr das?«, fragt sie,
wir hören nichts, wurschteln uns im Dunkeln schnell unsere Schuhe an, ertasten
unsere Jacken. Als wollten wir niemanden stören, auch nicht uns selbst. Paul
öffnet die Tür, ich drehe mich noch mal zu Ella um, sie guckt kurz in meine
Richtung und dann wieder aus dem Fenster. Das Fenster sieht absolut
undurchsichtig aus und Ella mehr wie eine Besucherin in einer Ausstellung für
moderne Kunst, die ratlos, aber verbissen eine einfarbige, vielmehr
nichtfarbige Fläche mustert. Sie versucht gar nicht hindurchzusehen.
    »Bis morgen«, sage ich und
ziehe die Tür hinter mir zu. Eine von diesen Türen, die laut ins Schloss fallen
und die man deshalb so langsam zumacht, dass man zwischendurch die Geduld verliert
und denkt, man kriegt sie niemals zu.
    Schritte wie auf Eiern, auf
Paul zu. Ich kann nicht erkennen, ob er lächelt. Ich würde es nicht mal sehen,
wenn er mir die Zunge rausstreckte. Die Hände in den Hosentaschen, stapfen wir
los. Ich stelle mir vor, Paul hätte mir seinen Arm angeboten, die feine
englische Art sozusagen, ich hätte mich überhaupt nicht gewundert, ich hätte es
irgendwie sogar angemessen gefunden. Aber meine Güte, wir gehen zur Elpe, nicht
zum Opernball. Den ersten Walzer meines Lebens werde ich auf dem Abiball
tanzen, in einem dreiviertel Jahr, mit Papa, und wir werden uns gegenseitig
auf die Füße treten.
    Ich kann sie hören, die ganze
Zeit schon, und je näher wir der Elpe kommen, desto mehr habe ich den Eindruck,
ich könnte sie auch riechen, das kann nur Einbildung sein.
    »Riechst du das?«, fragt Paul,
wir sind fast da, und er meint den Geruch von Gras oder Haschisch, den ich
jetzt auch in der Nase habe. Ich hatte mehr an kalten Qualm und ungewaschene
Körper gedacht. Von ungehemmten Rülpsern geschwängerte Bierluft.
    »Not too pretty, this
shit they got«, sagt Paul und grinst mich an. » Pretty shitty, I'd
say, but never mind.«
    »What?«, frage ich, und wieso
sind wir jetzt plötzlich englisch unterwegs. Ich meine, nicht dass ich was
dagegen hätte, aber es macht mich nervös. Als brauchten wir mit Überschreiten
dieser Grenze einen neuen Code, der uns zu Fremden macht. Ein Tarnspiel. Aber
was, wenn ich das verwechsle: wenn es nicht gerade anfängt, sondern gerade
aufhört?
    »Bestimmt wir können rauchen
mit ihnen.«
    Sein Deutsch ist schlechter
als sonst, aber ich bin erleichtert, ich denke an Herpes und sage: »Na muss
auch nicht sein.«
    Jeden Schritt von mir macht
jemand anderes. Die Abenteurerin. Die Coole. Die Vorurteilsfreie. Die
Feldforscherin. Die Treue schlechthin. Die vor Liebe Erblindete, pah. Keine
Ahnung, wo die alle herkommen, aber ohne sie käme ich keinen Meter vorwärts.
Ein Tappen im Dunkeln ist das hier sowieso, kein Weg, kein Licht, hier muss man
sich auskennen. Mein Fuß bleibt in irgendwas hängen, Stacheldraht, verdammt,
wer hat den da hingelegt? Niemand, natürlich.
    Paul steht schon am Eingang
zur alten Traktorenhalle und wartet auf mich. Ich bin mitten im
Stacheldrahtgestrüpp stehen geblieben, gefangen wie ein dummes Tierchen.
»Paul«, sage ich.
    Und er: »Komm.« Er läuft die
paar Meter zu mir zurück, er hält mir seine Hand hin und sagt noch einmal:
»Komm.«
    Und ich wünschte, dies wäre
ein altmodischer Film, in dem ich einfach in Ohnmacht fallen könnte. Dabei habe
ich das nie geglaubt, ich meine, dass das überhaupt geht, wegen eigentlich
nichts in Ohnmacht zu fallen, und geradezu absichtlich. Und diese
Einfaltspinsel, die sich von so viel Vorsätzlichkeit übertölpeln lassen oder
auch nur wohlerzogen so tun, als ob, wenn sie die Dame auffangen und besorgt
sind. Aber in diesem Augenblick wünschte ich, ich würde diese Praktik
ebenfalls beherrschen, und Paul würde mitspielen. Ich nehme seine Hand.
    Er zieht die klapprige Tür der
Halle auf, und wir gehen hinein. Es ist kein bisschen wärmer als draußen, und
im ersten Moment kann ich wenig erkennen. Ein paar Jugendliche hocken im Halbkreis,
die Beleuchtung liefern Kerzen, was einen merkwürdigen Gegensatz bildet zu dem
Gegröle und Gegackere, das uns entgegenschlägt. Obwohl es so laut ist, werden
wir sofort bemerkt, worauf ein paar Jungs in freudiges Johlen ausbrechen.
    »Kommt rin«, ruft einer uns
entgegen, ich glaube, er wird Ecki genannt, wie sein Säufer-Vater, Knast-Ecki,
wie sie sagen, von Eckhart, und wahrscheinlich weiß

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