Zander, Judith
dat hier noch die
Kneipe gab, drüben in dat Kulturhaus, wo er immer mit mir hin is, wo ick noch
lütt war. Dat weiß ick noch, wie er dat immer zu die gesagt hat, wenn se ihm
kein Bier mehr geben wollt, oder kein Schnaps. >Pissnelke< hat er denn
immer zu die gesagt, und so laut, dat uch alle dat hörn konnten! Manchma uch zu
meine Mudder, wie se noch da war. Nu hat er ja keinen mehr, zu dem er dat sagen
kann.«
»Außer dir, wa?«, platzt die
Dicke zwischen zwei Kaugummiblasen hervor.
Die Jungs grölen. Ecki sagt:
»Dat merk ick mir, Erna«, er grinst sie an, »dat merk ick mir!« Ein böser
Clown.
»Ick heiß nich Erna«, mault
die Dicke.
»Klar, Erna«, sagt Ecki.
»Oder, Sabrina, die heißt doch so, oder? Oder wie heißt die, deine Freundin?«
Sabrina guckt nicht mal hoch.
»Na los, sag doch! Die hier
wolln dat vielleicht uch ma wissen, hh?«
Ich will gar nichts wissen.
»Anne«, sagt Sabrina. »Dat
weißt du ganz genau.«
»Anne!«, johlt Ecki, »Anne,
die dicke Wanne!« Alles lacht.
»Is doch nu egal, Anne oder
Erna! Beides beschissen!« Ich trinke mein Bier, das irgendwie auch nicht
weniger wird. Überlege, ob diese kalte Plürre es besser oder schlimmer macht.
Der gute Sandro muss noch was
loswerden: »Die geht doch jetz bloß mit ihrm Köter ficken, wa, Börner?«
Schlimmer.
»Bist nu langsam ma fertig,
Möller?«, sagt Ecki.
Dann wieder allgemeines
Geschweige, geradezu andächtig. Vielleicht verstehe ich einfach das Muster
nicht. Nach dem hier - ja was? ...
»Wieso kommste eintlich nich
öfter ma her?«
Was? Die Frage erscheint mir
komplett unsinnig, unsinniger als jede Verlegenheitsbemerkung. Aber Ecki nimmt
mich lauernd aufs Korn; ich weiß, er wird nicht wegsehen, bevor ich nicht
geantwortet habe. Das Leben ist ein einziges Tribunal. Ich denke, nur deshalb
bin ich so gerne alleine. Es ist schon anstrengend genug, sich ständig vor sich
selbst zu rechtfertigen.
»Na ja - ich glaub, ich hab
den gleichen Grund wie Jacqueline.«
»Wat? Wat soll dat denn jetz
heißen?«
Ich habs geahnt.
»Gehste etwa uch mit dein
Köter ...«
»Schnauze, Mann!« Sandro
Möller verabreicht Börner einen Katzenkopp und schmalzt mich dann auf eine
unwahrscheinliche Weise an. »Musste nich druff hörn, wat der Arsch sagt!«
Seine Blicke heften sich an eine Stelle knapp unterhalb meines Kopfes, als sei
er sich noch nicht so ganz sicher, ob er jetzt dahin starren soll, wo bei
Jacqueline ihre nicht unerheblichen Brüste angebracht sind. Oder ob es sich
lohnt. Es lohnt sich nicht, schon allein, weil meine Knie einen langsam
versteinernden Schutzwall bilden. Trotzdem kommt mir meine Jacke und jede
Schicht darunter plötzlich durchsichtig vor.
»Achso«, sagt Ecki, »du findst
dat wohl uch langweilig hier?«
Es klingt wie eine dieser
Fragen, die man besser nicht mit ja beantwortet.
»Ja.« Was soll ich sonst
sagen. Allerdings. Mein >ja< war nicht gerade ein >allerdings<.
»Wieso?«, bohrt Ecki. »Wat
machstn du so in deine Freizeit?«
Etwas Unsagbares. Etwas hier
absolut Unsagbares.
»Lesen.« Ich merke, wie mir
die Hitze ins Gesicht steigt, als hätte ich gerade ein äußerst abartiges Hobby
zugegeben, ein Laster. Abartig ist aber auch relativ.
»Lesen?« Ecki scheint sich
langsam zu fragen, ob es eine seiner besseren Ideen war, mich herzubestellen.
»Haste n Freund?«, fragt
Sandro Möller. »Nee, wa?«
Durchsichtig ist gar kein
Ausdruck. »Nee.«
»Wusst ick!«
»Vleicht will se dat uch bloß
nich sagen«, Ecki grinst, »wegen dem da.« Ein Kopfzucken in Pauls Richtung. Mir
wird allmählich klar, warum Ecki hier der Anführer ist. Er hat mehr Phantasie
als die anderen. Paul sieht mich an, sieht mich nach einem halben Jahrhundert
wieder an, es ist wie ein Schock, als würde jemand, den man längst verschollen
glaubte, plötzlich vor einem stehen, Kriegsheimkehrer oder so, und nur deshalb
werde ich rot. Ich sage mir, dass er wohl nicht alles verstanden hat.
Ich schüttele mit dem Kopf,
mehr für ihn.
»Willste ihn als Freund
haben«, Sandro Möller fixiert mich, »na, ick mein, würdste mit ihm ... also, na
... weißt schon ...«
Gekicher. Ich gucke Sandro
Möller an, direkt auf seine Eiterpickel.
»Na ... weißt schon«, nuschelt
er.
»Mann, nu lasst ihr doch ma in
Ruhe!« So wie Möller vorhin schwingt sich auf einmal Ecki zu meinem Beschützer
auf. Ich wünschte, ich hätte einen anderen. Nein. Ich wünschte, ich könnte mein
eigener Beschützer sein.
»Hängste denn nie mit andern
Leuten
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