Zander, Judith
weg, okay?
Paul sagt: »Ihr könnt euch
etwas wünschen jetzt.«
»Etwas wünschen?« Noch mal das
Gleiche, wir kriegen uns gar nicht mehr ein. Fast kommt es mir vor, als lachten
wir Paul aus. Er lacht mit.
»Ja«, sagt er, »weil ihr habt
das Gleiche, also, zur gleichen Zeit, I mean, wenn man sagt zusammen das
Gleiche, dann kann man sich etwas wünschen und muss so machen mit die Finger«,
und er nimmt unsere Hände und legt jeweils unseren Zeigefinger und Daumen zu
einem Ring zusammen und beide Ringe ineinander. »Und jetzt wünschen! Aber nicht
sagen!«
Ich spüre den Abdruck von
Pauls Fingern auf meinen und weiß nicht, was ich mir wünschen soll. Ich kann
mich nicht entscheiden.
»Fertig?«, sagt Ella.
Ich möchte wissen, was sie
sich gewünscht hat. Wahrscheinlich etwas, das nicht völlig im Bereich des
Unerfüllbaren liegt. Beziehungsweise von dem sie das nicht glaubt. Vielleicht
ist das das Gleiche.
Paul sagt: »Wirklich, sie sind
okay.« Weg. Einfach. Es. Lachen. Wir. »Ich glaub, sie sind einfach langwei-, no,
eh ...«
»Langweilig? Ja, das glaub ich
auch.« Langweilig ist gut.
»Nein, das andere. Sie haben
Langweile, sagt man so?«
»Ja, das auch. Langeweile,
die: eine gefährliche, ansteckende und nicht selten tödliche Krankheit, siehe
>todlangweilig<, die, nicht behandelt, im Endstadium oft mit dem Gebrauch
von Kraftausdrücken und Anfällen von Zerstörungswut einhergeht. Von Kontakt mit
Betroffenen wird dringend abgeraten.«
Paul lacht, Ella guckt mich
an, als hätte ich auch irgendeine Krankheit, dann grinst sie ein bisschen. Ich
habe Paul zum Lachen gebracht.
Er fragt: »Was ist das,
>Kraftausdrücken«
»Scheiße«, sagt Ella. »Mist,
Kacke, verdammte Scheiße, verfluchte Scheiße, Scheißdreck, Fuck, fick dich,
verpiss dich, du Arsch, Arschloch, Drecksau, schwule Sau, Missgeburt, leck
mich, Wichser. Stinktier. Fotze. Halt die Fresse!«
»Wow!«, sagt Paul.
Ella rollt mit den Augen. »Ist
eben mein Lexikon.«
»Klingt, als wärst du
heimlicher Stammgast auf der Elpe«, sage ich. Sie guckt mich an, fast
erschrocken, als würde ich das ernst meinen. Ich lache.
»Jedenfalls, wir können
hingehen«, sagt Paul. »Ich soll >die Mädchen< mitbringen. Das ist, was
sie sagten.«
»Was?« >Die Mädchen<
mitbringen! Das haben sie sich so gedacht! Wie doof sind die eigentlich? Und
Paul fällt dadrauf rein. Sorry, Sweetie, aber da muss ich jetzt leider einen
eindeutigen Minuspunkt notieren. Hätte ihn gar nicht für so naiv gehalten. Fast
zufrieden sehe ich ihn an. Er lächelt. Er versteht es falsch.
»Ja«, sagt er. »Und ich denke
das auch.«
»Was denkst du auch?«
»Dass es gut ist, würde sein,
wenn ihr - also, wenn ihr mitkommt.«
»Wieso?«, brummt Ella. »Traust
dich wohl nich mehr alleine.«
Und Paul: »Nein, es ist, weil:
ihr traut euch nicht alleine.«
Er lächelt, lächelt den
Teppich an. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. Weil er recht hat. Weil er nicht
recht hat.
»Ich will da gar nicht hin!«,
stoße ich bloß hervor.
Paul legt lächelnd den Kopf
schief, sieht tief unter seinen Mädchenwimpern zu mir auf: »Du kannst es nicht
wissen, bevor du nicht warst dort.«
Und bevor ich noch irgendeinen
Widerspruch einlegen kann, denn, oh ja, solche Situationen werden mich nicht wehrlos finden, ich
rieche alle Arten von Besserwisserei, Belehrung,
Wir-wollen-doch-nur-dein-Bestes drei Lichtjahre gegen den Sonnenwind, also -
noch bevor ich überhaupt die sich wie böse Schlangen windenden Lippen
auseinanderkriege, gelingt es Paul, dem Schlangenbeschwörer, die unsichtbaren
Fäden zuerst meines, dann Ellas Blicks mit einem Ruck an sich zu ziehen und uns
einzuflöten: »Ich möchte, dass ihr mit mir zu die Elpe geht, heute abend. Ich
bitte euch.«
Er sagt es wie auswendig
gelernt. Vielleicht ist es gerade das. Ich merke, dass auch er nervös ist. Auf
Ella macht das keinen Eindruck, und ich sollte sie dafür bewundern.
»Nein! - Ich geh da nich hin!«
Und ihre Stimme vibriert wie die tiefste Seite von Paul McCartneys Bass, ein
Instrument, das nicht klagt, nicht aufheult. Sie geht raus, ich lausche auf das
Knarzen jeder einzelnen Stufe, dann eine Stille wie der zunehmende Druck bei
einem Tauchgang. Ich bin noch nie getaucht.
Paul sieht mich erwartungsvoll
an. Als er endlich blinzelt, sage ich leise: »Warum.« Und dann: »Okay.«
Es ist mir egal plötzlich. Ich
kann nichts mehr denken. Bloß noch: Das wird die Hölle. Aber es wird eine Hölle
mit Paul, mit Paul.
Wir gehen schweigend
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