Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
Vom Netzwerk:
den Beruf eines Gemischtwarenhändlers zu ergreifen etwa oder eines Maurers,
nein, nicht auf Koexistenz und Aufbau richtete sich mein Streben, sondern auf
Scheidung und Zerlegung, weshalb ich durch das Hintertürchen der Theologischen
Fakultät mich, großzügig wegschauend von mir selbst, wieder in mein innerstes
Naturell einschlich und das Feigste unter der Sonne wurde, ein mit begrenzten
Befugnissen ausgestatteter Gerichtsdiener. Trompeter des Obersten Richters,
verstopfe ich mir den Mund mit dem tönenden Instrumente und bin ein stolzes und
stummes Fähnchen auf den Zinnen der Kanzel im richterlichen Sturmwinde. Und
wenn die Unverständigen kommen und angehen mich um ein Urteil in säkularen und
sakralen Fragen, so kann ich mit einem Stoß meiner Drommete hinstoßen auf den
Passus im Großen Gesetzbuch wie auch auf meine Unbefugtheit; richten und mich
selber glauben machen, nicht zu richten. Nur ein Hilfshirte sei ich. Und sortiere
doch noch immer die Spieler in diesem Schäferspiel, sondere mit meinem Stabe
die Schafe in solche und solche. Frische Kategorien wachsen täglich von selbst
mir zu, immer neue, treiben Blüten, allein mit der Fruktifikation will es
nichts Rechtes werden. Denn schön und belehrend anzuschauen sind wohl die
gesammelten, gepressten und beschrifteten Hauchgebilde all der vergangenen
Sommer, manch eines verblasst. Aber nähren sie mich, diese fast substanzlosen,
papierenen Wunderwerke? Wo nehm ich, wenn es Winter ist in Bresekow und keine
Seele auf der Straße, sondern nur Hartmut Wachlowskis Eheweib, wie es eifrigen
Sinnes seine Schritte gen Kirchhof lenkt, sich in meinem Blickfelde mehr und
mehr vergrößernd auf diesem Wege ohne Ab- und Auswege, wo nehm ich dann die
Wegzehrung für mein Rückgrat, das Gleichmaß meiner Schritte und Atemzüge, wenn
das erste und leuchtendste, vielleicht sogar einzige echte Beispiel einer vor
langer Zeit erfolgten Klassifizierung, nicht verblasst, rosarot wie an jenem
fernen Tage, mir arglos entgegenkommt? Und ich bemüht sein muss um alles andere
als eine Rosaröte, wie damals, als meine Gesichtshaut dem Stoff ihrer Bluse
geglichen haben muss, wenn schon nicht in Dederonseidigkeit, so doch in puncto
Couleur. Dieser Bluse, flammend und schief geknöpft, mit der sie aus meines
Onkels Arbeitszimmer trat als »das Fräulein Britta«. Und bis heute bleibt mir
verborgen, warum denn sie nicht verborgen bleiben konnte - denn nie hätte ich
gewagt, eigenmächtig in des Onkels Arbeitsräume vorzudringen, sondern, obschon
frisch examinierter Theolog, wie stets artig gewartet im Wohnzimmer, bis er das
gewünschte Buch mir gebracht haben würde - warum sie denn hervorkam mit einer
nicht zu ignorierenden Bluse und den darunter befindlichen ebenso wenig zu
ignorierenden, da nicht durch irgendeine Unterkleidung gemilderten Tatsachen
holder Weiblichkeit, um mich anzusehen mit unschamhaften Augen, welche mich
veranlasst hatten zur Eröffnung dieser neuen Kategorie. Mein Onkel, nie habe
ich ihn contenanceloser gesehen, seine blasse Haut nie gesprenkelter, sagte:
»Das ist das Fräulein Britta.«
    Ich, in einer merkwürdig mit
dem Zustande meines Onkels kongruierenden Verfassung, unternahm den Versuch der
Rückführung, vielleicht gar in der irren Hoffnung des Ungeschehenmachenkönnens,
der Rückführung jedenfalls dieser Situation auf die breiten Straßen des
sozialistischen Realismus, heraus aus den dunklen Laubengängen realer
Bürgerlichkeit ausgerechnet mit der mir am unverfänglichsten erscheinenden
Frage, welche doch, oh Hirnverbranntheit, die verfänglichste sein musste:
»Studieren Sie Kunstgeschichte?«
    Fräulein Britta lachte auf,
dass ihr Herz, oder was darüber war, hüpfte: »Gott bewahre!«
    »Das Fräulein Britta wird
Lehrerin«, ließ sich, sich räuspernd, mein Onkel vernehmen.
    »Zeichnen und Deutsch. Falls
ich die Prüfungen nächste Woche übersteh«, zwitscherte das Fräulein, und ich
kann nicht umhin, als in diesem meinem Erinnerungskintopp die auch in
Schwarzweiß rotbebluste angehende Pädagogin meinem Onkel bei diesem Satze ein
Lächeln zuwerfen zu sehen, das sich als entschieden mehr Deutungen offenstehend
ausnahm als ein Lächeln studentischer Respekterweisung. Worauf sie sich
empfahl. »Herr Professor.«
    Auch meines Bleibens war es
nicht länger, denn nicht mehr mit Sicherheit ausmachen konnte ich plötzlich, ob
diese Gemächer in der Tat die meines verehrten Onkels waren und mein Onkel
überhaupt noch selbiger. Er wiederum mochte mich nicht

Weitere Kostenlose Bücher