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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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von Ella vielleicht intuitiv erfasste Bedeutung - und mich
damit einreihen in die Horde, oder Heere, herrenloser Weibchen, die sich alle
im gleichen abgegrabbelten Signalbaukasten Paarungsbereitschaft &
Fruchtbarkeit bedienen, soll ich »ganz normal« werden und schließlich doch den »ganz
natürlichen« Wunsch entwickeln, zum Fortbestand der Menschheit beizutragen?
Aber wir leben in modernen Zeiten, und ein Mann ist nicht mehr gleichbedeutend
mit einem Kind, außer in Personalunion, und überhaupt, was für ein Mann denn?
Davon kann ja hier wohl kaum die Rede sein.
    Außerdem bezweifle ich, dass
irgendein männliches oder anderes Wesen an meinen grün gemusterten Strumpfhosen
Gefallen findet, ich dafür umso mehr. Denn eigentlich ging es ja gar nicht um
den Rock. Ich habe Strumpfhosen schon als Kind geliebt, nur dass man da noch
nichts dadrüber anziehen brauchte, sie hielten, was sie versprachen, nämlich
Strumpf und Hose in einem zu sein. Und noch lebten wir in seliger Unkenntnis
der Leggins, die uns nur wenige Jahre später zusammen mit ihren degenerierten
Artgenossen Radler- und Steghose heimsuchen sollte. Ich schwärmte nur deshalb
für den Prinzen in den Märchenfilmen, weil er bestrumpfhost war, ein Bein grün,
ein Bein rot. Bei der Prinzessin konnte man das ja leider nicht sehen, und als
ich Mama mal fragte, was die denn unter ihren langen Röcken anhätten, sagte sie
glatt: »Nix.« Das war ihr wohl so rausgerutscht, denn als sie mein empörtes
Gesicht sah, fing sie an, schnell was von Unterröcken und Unterhosen zu
erzählen, aber ich glaubte ihr kein Wort. Die Prinzessin trug keine Strumpfhose,
soviel stand fest, und also auch, dass ich keine Prinzessin mehr sein wollte.
Insofern ist die Strumpfhose, jedenfalls in ihrer Urform, nicht in der
linoleumfarbenen Abart von Nylon, Perlon, Dederon oder
Loch-an-Loch-und-hält-doch, ein durchaus subversives, die Signalwirkung des
Rockes geschickt brechendes Utensil, das sich zudem weder den Vorwurf des Ent-
noch des Verhüllens gefallen lassen muss, geradezu ein Schutzanzug, was man vom
Rock nicht behaupten kann, mit dem sich doch wohl noch immer allgemein und
instinktiv die Vorstellung verbindet: nix drunter.
    Ich weiß nicht, was für eine Vorstellung
sich mir bei diesen Anziehüberlegungen mit einer so nichtswürdigen
Veranstaltung wie dem Dorffest auf einmal verbunden hatte, aber sie versickerte
sehr schnell in den Niederungen der Modder, durch die ich mit den beiden
hierher gelatscht bin. Es regnet seit Tagen, »Katzen und Hunden«, wie Paul
sagte, aber auch: »Ich bin nicht aus Zucker«, als ich ihm den Regenschirm
anbot. Ich musste grinsen. Wie kann er so lügen? Ella kam mit mir unter den Schirm,
hakte sich bei mir ein, und wie wir da so im Slalom über die ausgestorbene Elpe
und die Dorfstraße stapften und wenigstens den größten Pfützen auszuweichen
versuchten, Zucker-Paul voran, hatte ich beinah Angst, der Regen könnte ihn
tatsächlich wegwaschen, auflösen, und wie konnte ich mir sicher sein, dass das
überhaupt noch Paul war, der da als unkenntliche Kapuzengestalt in immer
weiterem Abstand vor uns ging, in den Regen und die Dunkelheit hinein?
    Durch meine wie üblich
undichten Schuhe - es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, wie Leute zu angeblich
wasserdichten Schuhen kommen - schien mit zunehmender Weglänge nicht nur die
Nässe förmlich in mich einzusickern, sondern mit ihr auch ein heilloses Gefühl
von - na ja, Verzweiflung klingt völlig übertrieben, Vergeblichkeit erst
recht, aber etwas in der Art, und etwas Wohlbekanntes, wie ein Rückenschmerz,
den man langsam und unabwendbar heraufkriechen spürt, ein alter Feind, der
durch jahrelange Bekanntschaft fast zum Freund geworden ist und auf einen
irreparablen Haltungsschaden hindeutet. Für einen Augenblick fühlte ich das
fast unwiderstehliche Verlangen in mir, mich lang in die Modder zu schmeißen.
Aber: Haltung. Contenance. Seit Jahren bin ich mit mir selber uneins, ob ich
genau das zum Prinzip meines Verhaltens machen sollte: sich rein gar nichts anmerken
lassen, oder das genaue Gegenteil: hemmungsloses Rauslassen, noch bevor es zu
irgendwelchen Anmerkungen kommt. Das Ziel beider Wege ist das gleiche, nämlich
Unangreifbarkeit. Zum Beispiel träume ich seit mindestens genauso langer Zeit
ja auch schon von der unangreifbaren Frisur, aber das ist ein anderes Thema.
Mein ganzes Problem liegt in der absoluten Entscheidungsunfähigkeit, in diesem
wie auch in jedem anderen Fall, also in der

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