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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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damals? Ick weiß bloß, dat dat mitm Moped war, oder? Wann warn dat
noch ma?«
    »Siebzig. April siebzig. Er
wollt doch bloß n Trecker überholen, da kurz hinter Schmalditz, wo der Weg nach
Melzin reingeht. Er is grad von Britta gekommen, sie hat das später ma gesagt.
Jedenfalls, er is schon am Überholen, als der Trecker links abbiegt, in den
Melziner Weg rein, der wollt da aufn Acker. Und ob der nu geblinkt hat und Roli
das nich gesehn hat, oder ob der wirklich nich geblinkt hat - der hat
natürlich hinterher gesagt, er hat geblinkt, was sollt der auch andres sagen,
könnt ja keiner mehr beweisen. Roli war tot. Der ist voll über ihn rüber, das
große Treckerrad. Über seinen Hals, haben sie gesagt. Keine Chance.«
    Friedhelm verzieht das
Gesicht. Ja. Das mocht sich keiner vorstellen. »Der arme Roland«, hieß das
dann immer.
    »Und Ingrid? Hat die nie wat
gesagt?«
    »Nee. Vielleicht hätt sie ja
noch. Aber nu - hat die sich vielleicht auch gedacht, dass sie nem Toten nix
nachreden will.«
    »Wieso nachreden? Na, ick
glaub, ick versteh dat schon. Wieso die nix gesagt hat. - Aber eins versteh ick
nich, Hartmut: Ick mein, dat du nu nix gesagt hast - vielleicht war dat am Ende
sogar besser so. Aber dat du zu ihr nix gesagt hast, dat du nich zu ihr hin
bist ... Wieso hast du denn mit ihr nich geredet, wo du als Einzigster Bescheid
wusstest. Wieso - Mann, Hartmut, wieso hast du sie denn so im Stich gelassen?«
    »Ich?«.
    »Nu reg dich nich uff! Aber
ick mein ma, du hättst doch wenigstens mit ihr reden können.«
    »Mit ihr reden? Friedhelm, du
verstehst das nich! Das ging nich!«
    Hätt ich mir doch lieber
sonstwas abgebissen damals. Ich mocht sie doch nicht mal mehr angucken. Mit
ihrem Bauch. Irgendwie war sie auch tot für mich. Ingrid. Die arme Ingrid. Nee,
das hab ich nie gedacht.
    »Wieso denn nich?«
    »Ich weiß auch nich - sie war
so anders ...«
    Jetzt kippt er sich doch noch
einen ein. Und mir nicht. Die Haustür klappt. Friedhelm zuckt mit dem Kopp zur
Tür. Schiebt mir schnell das volle Glas rüber, plempert über. Trink ich aus.
Die Tür geht auf, und seine Tochter kommt rein. Guckt mich an. Was guckt die
mich so an?
    »Na, dann werd ich ma«, sag
ich und steh auf. Muss mich ma kurz abstützen.
    »Geht't?«, fragt Friedhelm.
    »N'Abend«, sagt seine Tochter
jetzt. Romy. Heißt die doch, oder?
    »Is - Ella - schon im Bett?«,
frag ich.
    »Weiß ich nicht«, sagt sie.
    Ich geh raus. »Is - doch schon
spät.«
    Draußen muss ich erst ma kurz
stehenbleiben. Bloß ma kurz. Mann, muss ich pissen, und dann noch der Regen.
Muss ich ma fix um die Ecke ma fix. Wie ich am Fenster vorbeikomm, ist ja nu ma
offen, das Fenster, wie ich vorbeikomm, hör ich: »Papa. Bist du besoffen?« Nee,
der nicht. Der Papa.
     
    ROMY
     
    Soll ich jetzt einen Rock
anziehen oder nicht? Was heißt >einen<: den, den einzig akzeptablen, den
ich besitze, mit Taschen. Ella zieht garantiert keinen an; so ein
Kleidungsstück käme ihr nicht nur nicht in den Schrank geschweige denn an den
Leib, es käme ihr wahrscheinlich nicht mal über die Lippen, genauso wenig wie >Bluse<
oder >Strumpfhose<, zumindest nicht ohne Empörung und Notwehr. Dabei
verhält es sich nicht so, dass da ein unmögliches Bild entsteht, wenn man sich
Ella darin vorstellt. Im Gegenteil. Das ist es vielleicht gerade. Ich glaub,
sie will auf keinen Fall so werden wie ihre Mutter, und sei es um den Preis,
das genaue Gegenteil zu werden. Niemand will werden wie seine Mutter. Da kommt
es, verbreiteter mütterlicher Irrglaube, gar nicht auf die Mutter an.
Vielleicht, weil man insgeheim spürt, dass man als Mutter schon von vornherein
verloren hat, und zwar gegen die eigenen Kinder, und alle schmähenswerten
Eigenschaften nur aus dieser abgeschriebenen Position resultieren
beziehungsweise überhaupt erst zu dieser geführt haben, Eigenschaften, deren
Keime man hin und wieder schon in sich selber zu wachsen beginnen fühlt, und
die Angst: Am Ende kriegen sie einen. Am Ende wird man noch selber Mutter. Oh
beklemmendstes aller Zukunftsbilder.
    So weit meine ergebnislosen
Betrachtungen im Vorfeld des sogenannten Dorffestes, womit ich keineswegs vom
ursprünglichen Problem abgekommen war, denn auch wenn man kein Anhänger der
Theorie ist, dass alles mit allem zusammenhängt, ist doch klar ersichtlich, wie
die Rockfrage mit zukünftiger Mutterschaft zusammenhängt und also lautet: Soll
ich jetzt wirklich einen Rock anziehen - das Wort bekommt geradezu eine
metaphorische, die

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