Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
Vom Netzwerk:
vermeintlichen Vermeidung
angreifbarer, weil exponierter Positionen, weshalb es ständig zu halbherzigen
Mischformen der allerangreifbarsten Art kommt. Man nehme ja nur mal diesen
Rock, diesen verschossenen orangen Cordrock, weder kurz noch lang, weder weit
noch eng, weder Rock noch sonst irgendwas, wie er verklemmt an der Strumpfhose
klebt und sich wie zur Strafe bei jedem Schritt unförmig nach oben schiebt und
ausbeult. Was in aller Welt wollte ich damit bezwecken? Na wenigstens muss ich
mir nicht vorwerfen, mich des neuesten Modeauswuchses der Sorte
Weder-Fisch-noch-Fleisch schuldig gemacht zu haben, dieses abartigen
Rock-über-Hose-Tragens. Wenn ich auch schon so manches Mal das Gefühl hatte,
unter den Blicken Katharinas, Nadines und auch Susannes, mit meinen Klamotten
den Gipfel der Lächerlichkeit erklommen zu haben, so muss ich doch neuerdings
befriedigt feststellen, dass mich Katharina, Nadine und Susanne auch darin
überholt haben. Ich meine, was wollen sie damit bezwecken, außer wie das
letzte Hippierelikt auf der Flucht auszusehen? Das Ganze läuft doch letztlich
auf Folgendes hinaus: Ich will einen Rock anziehen, aber trau mich nicht, meine
Beine zu zeigen, schon gar nicht meine nackten Beine im Sommer, also zwänge ich
den luftigen Sommerrock über die dicke Winterjeans, im Winter. Wie erbärmlich!
Nur mildert das auch nicht den Blick, mit dem ich selbst meinem Kleiderschrank
neuerdings gegenübertrete, nämlich seit ich festgestellt habe, dass sein
Inhalt dringend der Generalüberholung bedarf, und der Zeitpunkt dieser
Feststellung fällt zufällig ungefähr mit Pauls Erscheinen hier zusammen. Sein
Erscheinungsbild wiederum versetzt mich jedes Mal derartig in Entzücken, dass
es mich fast beschämt, gerade weil daran gar nichts Besonderes oder Gewolltes
ist, es ist auch nicht diese aufgesetzte Schlampigkeit. Es ist einfach - Paul.
Man könnte es glatt zu einem Adjektiv machen, very paul, eins, das nur auf ihn
zutrifft. Seine zwei Hosen, die eine schwarz, die andere braun, keine Jeans,
haben beide diverse Löcher am umgeschlagenen Saum, die braune sogar eins am
sehr oberen Oberschenkel, das aussieht wie ein Brandloch und ab und zu die
Farbe seiner Unterhose erkennen lässt. Als ich das zum ersten Mal sah, wäre
ich fast so hirnverbrannt gewesen, ihn darauf hinzuweisen, ich meine, dass er
ein Loch in der Hose hat. Das Wort >Unterhose<, zumal es sich dabei nicht
um irgendeine, sondern um seine handelt, käme mir bei ihm vermutlich gar nicht
über die Lippen. Oder vielleicht doch, vielleicht leichter als bei jedem
anderen. Da ist eine Offenheit bei ihm, geradezu um ihn ... Die nicht unwesentlich
zu meinem Taumel beiträgt. Wie auch seine bis knapp über die Ellenbogen
gekrempelten Hemden, seine ganz einfachen und einfach perfekt sitzenden
T-Shirts, die ihren Schnitt direkt aus den Sechzigern herübergerettet zu haben
scheinen, und über seine Frisur muss man ja ohnehin kein Wort verlieren: very paulmccartney.
Kurzum: all das ist mir hier noch nie untergekommen, nicht mal in Ansätzen,
nicht mal bei Tobias, und das ist so was von zum Alle-Hoffnung-fahren-Lassen,
dass man auf der Stelle konvertieren und den Karmeliterinnen beitreten möchte,
was einen zumindest des Kleidungsproblems auf ewig enthöbe. Ich weiß, dass ich
mich da nicht so reinsteigern darf. Nicht in etwas, das keine Woche mehr währt.
Aber habe ich vielleicht was Besseres zu tun?
    Spätestens als wir eben das
Zelt betraten, das sie mitten auf der Wiese neben dem Sportplatz aufgebaut
haben und das uns schon von weitem wie eine etwas zweifelhafte Oase weiß aus
der dunklen Regenwüstenei entgegengeleuchtet hatte, kam ich mir völlig overdressed
vor, was umso seltsamer war, als meine Schuhe und auch das untere Drittel
meiner grünen Strumpfhosen sich eine Dorfmatschtarnung zugelegt hatten, ein
Spritzer, kein Spritzer. Die offensichtlich bereits angesäuselten Anwesenden
starrten denn auch gleich auf meine Beine, und ich weiß nicht, welchen
Abschnitt davon sie am unzumutbarsten fanden. Aber so demütigend wie auf
unserem ersten Herbstball ist es nun auch wieder nicht, als wir, endlich in der
neunten Klasse angekommen und teilnahmeberechtigt, uns aufgeregt fragten, was
man bloß zu diesem Ereignis anziehen sollte, immerhin war es ein >Ball<,
und irgendwer uns einredete, was heißt irgendwer, Tamara mit ihrer
Vornehmheitsmacke, wir sollten dafür unsere Konfirmationsklamotten noch mal
reaktivieren. Und so standen wir dann da, in die Ecke

Weitere Kostenlose Bücher